Welche Auswirkungen genau
Mobilfunk auf den menschlichen Körper hat, ist unter
WissenschaftlerInnen heiß umstritten. Behörden, Gerichte und
Gesetze berufen sich darauf, dass bisher keine Effekte unterhalb
der Grenzwerte nachgewiesen wurden. Studien, die den Gegenbeweis
antreten wollen, gibt es zuhauf. Zum Teil wurden sie zu Recht
kritisiert, zum Teil stoßen sie auf finanzkräftige
Gegenpropaganda der Mobilfunkfirmen, zum Teil geben sie
alarmierende Hinweise, die unbedingt weiterer wissenschaftlicher
Untersuchung bedürfen.
Naila-Studie
Ins Kreuzfeuer der Kritik geriet
in letzter Zeit die Studie aus Naila. Ihr wurde vorgeworfen, sie
sei wissenschaftlich nicht wasserdicht und habe keine
universitäre Anbindung, außerdem weise sie forschungstechnische
Lücken auf und sei überhaupt noch nicht in einer Fachpublikation
erschienen. Vor dem Hintergrund dieser Vorwürfe ist es
interessant, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der
Naila-Studie zu kennen.
Fünf ortsansässige Ärzte hatten
den Eindruck, dass sich Krebserkrankungen in der letzten Zeit und
vor allem bei jüngeren Menschen häufen, und befürchteten einen
Zusammenhang mit einer 1993 installierten Mobilfunksendeanlage.
Deshalb durchsuchten sie
nachträglich ihre Patientenkarteien (insgesamt rund 1000
PatientInnen) über den Zeitraum von zehn Jahren und stellten
fest: Bei den PatientInnen, die in einem Umkreis von unter 400
Metern um die Sendestation wohnten, lag die Anzahl der Krebsfälle
drei mal so hoch wie bei den weiter entfernt wohnenden
PatientInnen. Und im Durchschnitt waren die an Krebs Erkrankten
acht Jahre jünger. Eine wichtige Erkenntnis war aber auch, dass
dieser signifikante Unterschied bis 1998 noch nicht zu verzeichnen
war. Das heißt, in den ersten fünf Jahren war der
(möglicherweise von der Antenne ausgehende) Effekt noch nicht
merkbar, erst längerfristig stellte sich die Wirkung ein.
Die Ärzte waren von diesem
Ergebnis äußerst betroffen und schlugen beim Landratsamt Alarm,
wo man aber kein Interesse hatte. Als Pläne bekannt wurden, dass
der Standort mit noch mehr Sendeanlagen aufgestockt werden sollte,
wollten sie eine langwierige Veröffentlichung in der
medizinischen Fachpresse nicht länger abwarten. Im Juli 2004
gingen sie zusammen mit dem Nailaer Bürgermeister an die
Öffentlichkeit, wo der Pressewirbel groß war, und wo ihnen bald
von seiten der Mobilfunkbranche und des mobilfunkfreundlichen
bayerischen Umweltministers die Fetzen um die Ohren flogen.
Aller Kritik an der Naila-Studie
muss deshalb entgegen gehalten werden: Die Ärzte aus Naila hatten
von vorneherein keinen aufwändigen Untersuchungsaufbau mit
Messungen oder Fragebögen. Sie konnten auf keinerlei finanzielle
Unterstützung zurückgreifen. Sie handelten aus persönlicher
Sorge um ihre PatientInnen. Und sie verstanden ihre Ergebnisse nie
als Beweis, sondern als eklatantes Indiz, dem dringend
nachgegangen werden muss.
Die Studie, deren Kurzfassung
schon seit Sommer im Nailaer Rathaus erhältlich ist, wird
übrigens demnächst komplett in einer wissenschaftlichen
Zeitschrift veröffentlicht.
Reflex-Studie
Interessant ist auch die
Geschichte der sogenannten "Reflex-Studie". Dabei
handelt es sich um ein EU-finanziertes Projekt, bei dem in den
Jahren 2000 bis 2003 zwölf Forschergruppen aus sieben Ländern
arbeiteten. Sie sollten die Effekte von elektromagnetischen
Strahlen auf Zellen im Reagenzglas erforschen. Die Studie war zwar
ergebnisoffen angelegt, Sinn und Zweck war aber eigentlich, zu
beweisen, dass es keine zellulären Effekte gibt.
Aus dieser Sicht waren die
Ergebnisse jedoch überraschend. Denn wider Erwarten beobachteten
mehrere Forschergruppen Schäden an Chromosomen (sie tragen die
Erbinformation) und Veränderungen bei der Konzentration von
Eiweißen, die den Hormonhaushalt steuern.
Einzelne Gruppen haben bereits
publiziert, bei der Berliner Arbeitsgruppe verzögert sich die
Veröffentlichung jedoch und anfragende ÄrztInnen bekommen keinen
Zugang zu den Forschungsergebnissen. Der Einfluss der
Mobilfunk-Lobby ist zu stark. Nach Aussagen des Koordinators der
EU-Reflex-Studie, Prof. Franz Adlkofer, ist die
Mobilfunk-Forschung zu 80% von der Mobilfunk-Industrie selbst
abhängig.
Forschung industriefinanziert
Das gilt auch für Deutschland.
Trotz der vielen Bedenken in Medizinerkreisen hielt es die
Strahlenschutzkommission bisher nicht für nötig, die Grenzwerte
für elektromagnetische Strahlung in Frage zu stellen. Das
Bundesumweltschutzminis-terium erkannte immerhin die Notwendigkeit
zu systematischen Untersuchungen an und legte das "Deutsche
Mobilfunk-Forschungsprogramm DMFP" auf. 50 Forschungsvorhaben
sind von 2002 bis 2006 in den Bereichen Biologie, Dosimetrie,
Epidemiologie und Riskiko-kommunikation tätig.
Das 17 Mio Euro teure Programm wird allerdings
wesentlich von Mobilfunkfirmen mitfinanziert.
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