GAL BAMBERG

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Ein Schritt in die falsche Richtung?

Ist das “Reform-Paket Agenda 2010“ der rot-grünen Bundesregierung der dringend notwendige Befreiungsschlag?

 

Reformen sind notwendig in Deutschland. Daran zweifelt niemand. Kündigungsschutz, Krankenversicherung, Arbeitslosengeld: alles muss auf den Prüfstand. Das Ziel: niedrigere Lohnnebenkosten, mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze. Das Instrumentarium: Kürzungen, Streichungen, Privatisierung (“mehr Eigenverantwortung“!), Deregulierung. So sollen die allenthalben auftretenden Defizite verringert, die Unternehmen zu neuen Investitionen ermuntert werden. Kann das klappen? Und: Ist das sozial gerecht?

Rund zwanzig Jahre dauernde "Feldversuche" mit diesem Rezept (manche sagen "neoliberale Wirtschaftspolitik" dazu) in vielen Ländern haben gezeigt: "Geklappt" im Sinne von mehr Wohlstand für alle, im Sinne von humanen Arbeitsplätzen für alle, die arbeiten wollen, hat es nirgendwo. "Geklappt" im Sinne von höheren Unternehmensgewinnen, im Sinne von mehr Reichtum für immer weniger Menschen hat es dagegen fast überall.

Zudem treffen die Spar-, Kürzungs- und Privatisierungsorgien (CSU-Seehofer!) vornehmlich den Geldbeutel derer, die ohnehin nicht viel Geld haben. Wie aber sollen Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger die Produkte und Dienstleistungen kaufen, die die Unternehmen herstellen? Ohne Konsum kein Aufschwung! Ohne "Massenkaufkraft" kann es kein Wirtschaftswachstum geben.

Dabei gäbe es – auch im Staate Deutschland – genügend Geld für Investitionen. Trotz Börsenkrise und Konjunkturflaute ist die Zahl der Dollar-Millionäre in Deutschland weiter (auf 755.000 Privatpersonen!) gestiegen. Allein das Vermögen eines einzigen der ALDI-Brüder ist so groß wie das Investitionsprogramm, das die Bundesregierung im Rahmen der Agenda 2010 den Kommunen versprochen hat. Die "öffentliche Armut" steht also einem wachsenden "privaten Reichtum" gegenüber.

Dennoch gibt es in der Agenda 2010 unverkennbar eine "soziale Schieflage" (Grünen-Chef Bütikofer): Die Kleinen werden geschröpft, die Reichen bleiben unangetastet. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Forderung, die Kosten der Deutschen Einheit endlich nicht mehr den Sozialkassen aufzubürden, sondern aus dem Steuersäckel zu finanzieren, sind deshalb allzu notwendig. Die Delegierten beim Bundesparteitag im Juni haben das per Beschluss als konkrete Politikziele formuliert.

Den öffentlichen Kassen sehr gut tun würde auch ein Subventionsabbau gerade in ökologisch problematischen Sektoren (Steinkohlebergbau, Landwirtschaft, Entfernungspauschale u.a.). Insofern ist es erfreulich, wenn etliche grüne Bundestagsabgeordnete (darunter auch die Bamberger MdB Ursula Sowa) eine stärkere ökologische Ausrichtung der Agenda 2010 angemahnt haben. Zudem müssten endlich "ur-grüne Politikkonzepte" zur Reform des Sozialstaats (Stichwort: Bürgerversicherung, zu der alle Einkommensarten herangezogen werden) umgesetzt werden.

Wenn all dies gelingt – aber nur dann – kann von echten "Struktur"-Reformen geredet werden. Vorerst droht die Agenda 2010 in der Schröderschen Fassung aber ein Schritt in die falsche Richtung zu werden.

Daran wird auch eine vorgezogene, vornehmlich auf Pump finanzierte Steuerreform nichts ändern.


Ohne Konsum kein Aufschwung. Die Konjuktur wird angekurbelt, wenn die Kaufkraft in der gesamten Bevölkerung steigt.
Foto: Erich Weiß

 

“Grüne mit 90% fpr Agenda 2010“ – So war es, aber es war auch anders!

Die Grünen wirkten bei ihrem Sonderparteitag im Juni in Cottbus treuer zum Kanzler und seinen Vorstellungen als die SPD. Die innerparteiliche Debatte lief gesitteter und früher ab. Und die Agenda 2010 erhielt überwältigende 90% der Stimmen der Delegierten, so war in den Medien zu lesen.

Ganz so simpel war es aber nicht.

Die Diskussionen im Vorfeld und auf dem Parteitag zeigten, dass das kritische Potential bei den Grünen immer noch eine starke und wichtige Rolle spielt. Von der GAL Bamberg unterstützt wurde der Gegenantrag zu dem vom Bundesvorstand vorgelegten Leitantrag. Darin wurde mehr soziale Gerechtigkeit bei den Kürzungen gefordert und ökologische Aspekte mehr berücksichtigt (z.B. mehr Förderung von erneuerbaren Energien statt Subventionen für ökologisch problematische fossile Energien). Diese Gegenposition unterlag, erhielt aber immerhin 40% der Stimmen.

Und noch eines geht bei der 90%-Meldung leicht unter: Bei der weiteren Behandlung des Leitantrags auf dem Parteitag wurden entscheidende Kritikpunkte übernommen: als wichtigste die Einführung einer Vermögenssteuer und die Entlastung der Sozialkassen vom Aufbau Ost. Der so veränderte Schlussantrag war also ein Kompromiss, der beide Seiten berücksichtigt, und bekam deshalb konsequenterweise die hohe Zustimmung von 90% der Delegierten.

In dieser Form kann die Agenda 2010 als Grundlage für einen modernen Umbau Deutschlands dienen. In dieser Form wird sie auch Basis für die weiteren Entscheidungen der Bundestagsfraktion sein.