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Besuch bei "Menschen in
Not" in St. Martin -
Die Situation von Wohnungslosen in Bamberg ist mehr als dürftig
Jeden Dienstag Vormittag und Donnerstag Nachmittag hat in St. Martin ein
kleiner Raum geöffnet, wo es warme Getränke und Gebäck gibt. Mit diesem Treffpunkt
bietet das Projekt "Menschen in Not" für wohnungslose und strafentlassene
Bamberger und Bambergerinnen nicht nur eine Anlaufstelle zum Aufwärmen und für soziale
Kontakte, sondern auch Hilfe und Beratung im Alltag. Das vom Caritas-Verband und dem
Diakonischen Werk in Zusammenarbeit mit der Ehrenamtlicheninitiative "Mt 25"
getragene Projekt versucht seit 1998, Menschen in Not Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Eine
Reportage
"Vo welchä Zeidung sin Sie? Vo die Grüna??? Na, die kannst doch
vergessn!" Mein Einstieg ist nicht besonders gut. Die Männer am Tisch reagieren
verächtlich und abwehrend, als ich mich vorstelle und sage, dass ich von der GAL bin.
Einer nickt, "jaja, die GAL-Zeitung kenn ich" - aber er schüttelt nur den Kopf.
Ein anderer meint, die Grünen seien ja nicht regierungsfähig und auch sonst zu nichts zu
gebrauchen, ein paar Seitenhiebe kriegen die Roten und Schwarzen auch noch ab. Dann wendet
man sich wieder Tee, Stollen und Zigaretten zu und weist Neuankömmlinge zurecht: Tür zu,
es zieht!
War denn eigentlich zu erwarten, dass die Leute hier frisch von der Leber
weg erzählen - wies ihnen geht, wie sie leben, mit welchen Problemen, Krankheiten,
Gefühlen? Die Biographien der Menschen hier sind in unserer Gesellschaft nicht gerade
vorzeigbar, im Gegenteil, sie sind Grund für Ausgrenzung. Das Leben ohne eigene Wohnung
findet am Rande der Gesellschaft statt, in Notünterkünften, umherziehend von einem
Unterschlupf bei Bekannten zum nächsten oder ganz einfach auf der Straße ohne jedes
Obdach.
An die 20 Männer und ein paar Frauen sitzen am Dienstag Vormittag rund um
den Tisch in dem kleinen Raum in St. Martin, der zugleich Treffpunkt, Kaffeeküche,
Beratungsstelle und Kleiderkammer ist. Draußen regnet es, hier drin dagegen ist es warm,
ziemlich verraucht, aber doch herrscht irgendwie eine gemütliche Stimmung zwischen
Plaudern und Lachen, Diskutieren und Politisieren. Die Leute, kommen offenbar gern
hierher, jedenfalls ist kein Stuhl mehr frei. Zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen kochen
und servieren Kaffee, Tee, Stollen und Hörnla, spülen ab, verteilen Kleidungsstücke -
auch ich bekomme ein Tasse Pfefferminztee und stehe etwas verloren in einer Ecke herum.
Martin Weiss-Flache erklärt mir die Situation der Leute, die ohne eigene
Wohnung oder gar ohne Obdach leben müssen. Er ist der einzige hauptamtliche Angestellte
des Projekts "Menschen in Not" und er ist für die Männer und Frauen
schlichtweg da: Sei es, wenn jemand bei seinem Antrag auf Sozialhilfe oder anderen
Behördengängen Hilfe braucht, sei es, dass einfach menschliche Anteilnahme gefragt ist,
weil wieder mal das Bein schmerzt oder Stress in der Unterkunft einem das Leben schwer
macht.
Es fehlt am Nötigsten
Es gibt in Bamberg schon einige Anlaufstellen für Menschen, die am
unteren Ende der sozialen Leiter stehen: zweimal in der Woche einen Mittagstisch der
Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde, jeden Tag stellen mehrere Klöster Bedürftigen ein
warmes Mittagessen, neuerdings hat auch das Haus in der Sutte an zwei Nachmittagen pro
Woche wieder geöffnet und bietet Duschen, Wäschewaschen und ein warmes Fernsehzimmer an.
Es gibt kostenlose Lebensmittel beim Vinzenzverein St. Otto und
ganz billige im Josefslädchen. Und dennoch fehlt es in Bamberg am Nötigsten für Leute,
die es allein nicht schaffen, in unserer Leistungsgesellschaft wieder Fuß zu fassen.
Hie und da ein Essen, ein bisschen Geld, eine Notunterkunft - das ist nur
oberflächliche Hilfe, meint auch Martin Weiss-Flache. Was fehlt, ist ausreichende
Betreuung, Hilfe zur Selbsthilfe, ein Unter-die-Arme-Greifen, wie es das Projekt
"Menschen in Not" leisten will. Aber eben nur bedingt leisten kann - mit
lediglich einem hauptamtlichen Mitarbeiter.
Dach über dem Kopf genügt nicht
"Im Obdachlosenheim in der Theresienstraße beispielsweise sind
bedürftige Männer zwar erst mal untergebracht und haben ein Dach über dem Kopf",
berichtet Martin Weiss-Flache, "aber sonst kümmert sich keiner um sie - bis auf
einen Hausmeister, der auf Heizung, Wasserleitungen und sonstiges achtet, mit allem
anderen aber überfordert ist."
Was fehlt also? Jemand, der die Leute nicht nur von der Straße weg holt,
sondern auch wieder in die Gesellschaft hinein. Jemand, der hilft, eine eigene Wohnung zu
finden, ein gesichertes Einkommen zu bekommen, sei es über eine Arbeitsstelle oder über
Sozialhilfe. Jemand, der Alkoholabhängige oder psychisch Kranke unterstützt, eine
Therapie zu beginnen. Jemand, der den Kreislauf
Straffälligkeit-Gefängnis-Obdachlosenheim-Straffälligkeit durchbrechen hilft. Oder auch
jemand, der einfach nur darauf achtet, dass die Zimmer reinlich gehalten werden und das
Zusammenleben miteinander funktioniert.
Betreuungsangebot ist Pflichtaufgabe der Stadt
In anderen Städten, so Weiss-Flache, gibt es solche Formen des betreuten
Wohnens - in Bamberg nicht. Obwohl es sich dabei eigentlich um eine gesetzliche
Pflichtaufgabe der Stadt handelt - aber welche Rathaus-Lobby haben schon sozial
entwurzelte Menschen?! Es wäre eine politische Aufgabe des Stadtrats, ausreichende
Finanzmittel bereitzustellen, damit z.B. das Sozialamt einen oder mehrere Mitarbeiter
speziell mit solchen Aufgaben betrauen kann.
Martin Weiss-Flache und seine Helfer und Helferinnen von "Menschen in
Not" arbeiten in diese Richtung. Aber sie sind noch ganz am Anfang. Von einer
"Erfolgsquote" mag der ausgebildete Theologe denn auch nicht gern sprechen.
"Erfolg heißt für mich schon, wenn ein weiterer sozialer Abrutsch verhindert
wird." Dabei hat er durchaus Handfestes vorzuweisen: Immerhin 10 Menschen fanden mit
seiner Hilfe dauerhaft eine eigene Wohnung, zwei konnten einen Therapieplatz
ergattern - wichtige erste Schritte hin zu einer "gesellschaftlichen
Normalität".
Das nächste Ziel von "Menschen in Not" ist die Einrichtung
einer tagsüber geöffneten größeren Wärmestube für wohnungslose Menschen, wo sie mit
kleineren Speisen und Getränken versorgt werden, die Möglichkeit zum Duschen und
Wäschewaschen haben, aber auch soziale Beratung in Anspruch nehmen können. Ein Haus in
der Unteren Königstraße steht schon in Aussicht, derzeit werden noch
Renovierungsarbeiten durchgeführt. Bei der Finanzierung ist auch die Stadt wieder
gefordert und wird sich zwangsläufig an ihre unerfüllten Pflichtaufgaben nach
Bundessozialhilfegesetz erinnert sehen.
"Netz von Solidarität"
Aufs Bundesozialhilfegesetz gibt die Frau, die am Dienstag Vormittag am
Tischende sitzt, sicher wenig. Stolz zieht sie eine Tischlampe mit großem buntem Schirm
aus einer Plastiktüte - ein guter Kauf, der allgemein Bewunderung findet. "Das
Schönste ist", sagt Martin Weiss-Flache, "dass Freundschaften unter den Leuten
entstehen, dass sie aneinander Anteil nehmen und sich auch gegenseitig besuchen - ein
richtiges kleines Netz von Solidarität." Während eine Helferin Hemden im
Kleiderregal sortiert, prüft der Mann, der die Grünen, die Roten und die Schwarzen für
gleichermaßen unfähig hält, mit kritischem Blick ein paar warme baumwollene
Unterhemden. Mit einem "Des passt scho" von seinem Stuhlnachbarn angetrieben,
greift er schließlich zu und packt eines ein. Als ich gehe, hilft mir ein Kavalier der
alten Schule in den Mantel.
Sylvia Schaible
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