GAL BAMBERG

 zum gaz-Archiv

 

 

"Menschen in Not"

Kontakt über
Martin Weiss-Flache
Tel. 9828119
 oder 0171/1468449

Spendenkonto:
10 900 249 9 bei
LIGA Spar- und Kreditgenossenschaft
(BLZ 750 903 00)

 

 

§ 72, Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz:
Aufgaben der Kommune im Bereich Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten

 

 

"Die Hilfe umfaßt alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, vor allem Beratung und persönliche Betreuung für den Hilfesuchenden und seine Angehörigen, Hilfen zur Ausbildung, Erlangungund Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung."

 

 

"Erfolg ist schon, nicht noch weiter abzurutschen"

 

Besuch bei "Menschen in Not" in St. Martin -
Die Situation von Wohnungslosen in Bamberg ist mehr als dürftig

Jeden Dienstag Vormittag und Donnerstag Nachmittag hat in St. Martin ein kleiner Raum geöffnet, wo es warme Getränke und Gebäck gibt. Mit diesem Treffpunkt bietet das Projekt "Menschen in Not" für wohnungslose und strafentlassene Bamberger und Bambergerinnen nicht nur eine Anlaufstelle zum Aufwärmen und für soziale Kontakte, sondern auch Hilfe und Beratung im Alltag. Das vom Caritas-Verband und dem Diakonischen Werk in Zusammenarbeit mit der Ehrenamtlicheninitiative "Mt 25" getragene Projekt versucht seit 1998, Menschen in Not Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Eine Reportage

"Vo welchä Zeidung sin Sie? Vo die Grüna??? Na, die kannst doch vergessn!" Mein Einstieg ist nicht besonders gut. Die Männer am Tisch reagieren verächtlich und abwehrend, als ich mich vorstelle und sage, dass ich von der GAL bin. Einer nickt, "jaja, die GAL-Zeitung kenn ich" - aber er schüttelt nur den Kopf. Ein anderer meint, die Grünen seien ja nicht regierungsfähig und auch sonst zu nichts zu gebrauchen, ein paar Seitenhiebe kriegen die Roten und Schwarzen auch noch ab. Dann wendet man sich wieder Tee, Stollen und Zigaretten zu und weist Neuankömmlinge zurecht: Tür zu, es zieht!

War denn eigentlich zu erwarten, dass die Leute hier frisch von der Leber weg erzählen - wie’s ihnen geht, wie sie leben, mit welchen Problemen, Krankheiten, Gefühlen? Die Biographien der Menschen hier sind in unserer Gesellschaft nicht gerade vorzeigbar, im Gegenteil, sie sind Grund für Ausgrenzung. Das Leben ohne eigene Wohnung findet am Rande der Gesellschaft statt, in Notünterkünften, umherziehend von einem Unterschlupf bei Bekannten zum nächsten oder ganz einfach auf der Straße ohne jedes Obdach.

An die 20 Männer und ein paar Frauen sitzen am Dienstag Vormittag rund um den Tisch in dem kleinen Raum in St. Martin, der zugleich Treffpunkt, Kaffeeküche, Beratungsstelle und Kleiderkammer ist. Draußen regnet es, hier drin dagegen ist es warm, ziemlich verraucht, aber doch herrscht irgendwie eine gemütliche Stimmung zwischen Plaudern und Lachen, Diskutieren und Politisieren. Die Leute, kommen offenbar gern hierher, jedenfalls ist kein Stuhl mehr frei. Zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen kochen und servieren Kaffee, Tee, Stollen und Hörnla, spülen ab, verteilen Kleidungsstücke - auch ich bekomme ein Tasse Pfefferminztee und stehe etwas verloren in einer Ecke herum.

Martin Weiss-Flache erklärt mir die Situation der Leute, die ohne eigene Wohnung oder gar ohne Obdach leben müssen. Er ist der einzige hauptamtliche Angestellte des Projekts "Menschen in Not" und er ist für die Männer und Frauen schlichtweg da: Sei es, wenn jemand bei seinem Antrag auf Sozialhilfe oder anderen Behördengängen Hilfe braucht, sei es, dass einfach menschliche Anteilnahme gefragt ist, weil wieder mal das Bein schmerzt oder Stress in der Unterkunft einem das Leben schwer macht.

Es fehlt am Nötigsten

Es gibt in Bamberg schon einige Anlaufstellen für Menschen, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen: zweimal in der Woche einen Mittagstisch der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde, jeden Tag stellen mehrere Klöster Bedürftigen ein warmes Mittagessen, neuerdings hat auch das Haus in der Sutte an zwei Nachmittagen pro Woche wieder geöffnet und bietet Duschen, Wäschewaschen und ein warmes Fernsehzimmer an. Es gibt kostenlose Lebensmittel beim Vinzenzverein St. Otto und ganz billige im Josefslädchen. Und dennoch fehlt es in Bamberg am Nötigsten für Leute, die es allein nicht schaffen, in unserer Leistungsgesellschaft wieder Fuß zu fassen.

Hie und da ein Essen, ein bisschen Geld, eine Notunterkunft - das ist nur oberflächliche Hilfe, meint auch Martin Weiss-Flache. Was fehlt, ist ausreichende Betreuung, Hilfe zur Selbsthilfe, ein Unter-die-Arme-Greifen, wie es das Projekt "Menschen in Not" leisten will. Aber eben nur bedingt leisten kann - mit lediglich einem hauptamtlichen Mitarbeiter.

Dach über dem Kopf genügt nicht

"Im Obdachlosenheim in der Theresienstraße beispielsweise sind bedürftige Männer zwar erst mal untergebracht und haben ein Dach über dem Kopf", berichtet Martin Weiss-Flache, "aber sonst kümmert sich keiner um sie - bis auf einen Hausmeister, der auf Heizung, Wasserleitungen und sonstiges achtet, mit allem anderen aber überfordert ist."

Was fehlt also? Jemand, der die Leute nicht nur von der Straße weg holt, sondern auch wieder in die Gesellschaft hinein. Jemand, der hilft, eine eigene Wohnung zu finden, ein gesichertes Einkommen zu bekommen, sei es über eine Arbeitsstelle oder über Sozialhilfe. Jemand, der Alkoholabhängige oder psychisch Kranke unterstützt, eine Therapie zu beginnen. Jemand, der den Kreislauf Straffälligkeit-Gefängnis-Obdachlosenheim-Straffälligkeit durchbrechen hilft. Oder auch jemand, der einfach nur darauf achtet, dass die Zimmer reinlich gehalten werden und das Zusammenleben miteinander funktioniert.

Betreuungsangebot ist Pflichtaufgabe der Stadt

In anderen Städten, so Weiss-Flache, gibt es solche Formen des betreuten Wohnens - in Bamberg nicht. Obwohl es sich dabei eigentlich um eine gesetzliche Pflichtaufgabe der Stadt handelt - aber welche Rathaus-Lobby haben schon sozial entwurzelte Menschen?! Es wäre eine politische Aufgabe des Stadtrats, ausreichende Finanzmittel bereitzustellen, damit z.B. das Sozialamt einen oder mehrere Mitarbeiter speziell mit solchen Aufgaben betrauen kann.

Martin Weiss-Flache und seine Helfer und Helferinnen von "Menschen in Not" arbeiten in diese Richtung. Aber sie sind noch ganz am Anfang. Von einer "Erfolgsquote" mag der ausgebildete Theologe denn auch nicht gern sprechen. "Erfolg heißt für mich schon, wenn ein weiterer sozialer Abrutsch verhindert wird." Dabei hat er durchaus Handfestes vorzuweisen: Immerhin 10 Menschen fanden mit seiner Hilfe dauerhaft eine eigene Wohnung, zwei  konnten einen Therapieplatz ergattern - wichtige erste Schritte hin zu einer "gesellschaftlichen Normalität".

Das nächste Ziel von "Menschen in Not" ist die Einrichtung einer tagsüber geöffneten größeren Wärmestube für wohnungslose Menschen, wo sie mit kleineren Speisen und Getränken versorgt werden, die Möglichkeit zum Duschen und Wäschewaschen haben, aber auch soziale Beratung in Anspruch nehmen können. Ein Haus in der Unteren Königstraße steht schon in Aussicht, derzeit werden noch Renovierungsarbeiten durchgeführt. Bei der Finanzierung ist auch die Stadt wieder gefordert und wird sich zwangsläufig an ihre unerfüllten Pflichtaufgaben nach Bundessozialhilfegesetz erinnert sehen.

"Netz von Solidarität"

Aufs Bundesozialhilfegesetz gibt die Frau, die am Dienstag Vormittag am Tischende sitzt, sicher wenig. Stolz zieht sie eine Tischlampe mit großem buntem Schirm aus einer Plastiktüte - ein guter Kauf, der allgemein Bewunderung findet. "Das Schönste ist", sagt Martin Weiss-Flache, "dass Freundschaften unter den Leuten entstehen, dass sie aneinander Anteil nehmen und sich auch gegenseitig besuchen - ein richtiges kleines Netz von Solidarität." Während eine Helferin Hemden im Kleiderregal sortiert, prüft der Mann, der die Grünen, die Roten und die Schwarzen für gleichermaßen unfähig hält, mit kritischem Blick ein paar warme baumwollene Unterhemden. Mit einem "Des passt scho" von seinem Stuhlnachbarn angetrieben, greift er schließlich zu und packt eines ein. Als ich gehe, hilft mir ein Kavalier der alten Schule in den Mantel.

Sylvia Schaible