Der Stadtrat gibt immer mehr
Kompetenzen ab, an Aufsichts-, Verbands- oder Stiftungsräte. Die
Folge ist ein massiver Verlust an kommunaler Demokratie und
öffentlicher Kontrolle
Wer im Januar 2005 die monatliche
Vollsitzung des Stadtrates als Zuschauer besuchen wollte, wurde
enttäuscht: In weniger als einer Stunde war die Sitzung vorbei
und alle gingen nach Hause – mangels Masse war die Tagesordnung
schnell abgearbeitet. Die März-Sitzung zwei Monate später hat
das sogar noch getoppt: Sie fand erst gar nicht statt. OB Lauer
brachte nicht genug besprechungsreife Tagesordnungspunkte
zusammen. Und auch die Mai-Sitzung: Totalausfall.
Immer seltener, immer kürzer: öffentliche Sitzungen im Rathaus.
Foto: Gerd Rudel
Was ist los? fragt man sich da.
Gibt es in der Bamberger Kommunalpolitik nichts mehr zu
diskutieren – ist unsere kleine Welt so heil? Muss der Stadtrat
denn nicht Entscheidungen darüber treffen, was in Bamberg
passiert?
Einschneidender Kompetenzverlust
Tatsächlich sind die seit einiger
Zeit ziemlich mageren Tagesordnungen ein äußerliches Indiz
dafür, wie viele Zuständigkeiten die Stadt mittlerweile
abgegeben hat – an GmbHs, Zweckverbände, Stiftungen usw. Gerade
in der jüngsten Zeit ist der Kompetenzverlust des Stadtrats
massiv geworden:
• Die Stadtwerke (Busse, Bäder,
Energie, Parkhäuser) wurden in mehrere GmbHs umgewandelt, das
Energie-unternehmen wurde sogar teilprivatisiert –
Entscheidungen treffen die Geschäftsführer, unterstützt von den
Aufsichtsräten (jeweils 9 Mitglieder).
• Klinikum, Nervenklinik St.
Getreu sowie die Altenheime Antonistift und Bürgerspital gingen
in der neuen Sozialstiftung auf – Entscheidungen trifft der
Stiftungsvorstand, unterstützt vom 12-köpfigen Stiftungsrat.
• Schulaufwandsträger für die
Bamberger Gymnasien ist der zusammen mit dem Landkreis gegründete
Zweckverband Gymnasien – Entscheidungen trifft jetzt die
10-köpfige Verbandsversammlung.
• Für den städtischen
Kulturetat ist die von der Stadt gegründete Stiftung
Weltkulturerbe zuständig – Entscheidungen trifft jetzt der
7-köpfige Stiftungsvorstand, unterstützt vom Kuratorium.
Schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten
gibt es die Stadtbau GmbH, die Stadthallen GmbH, die
Zweckverbände für das Müllheizkraftwerk, für die
Berufsschulen, für die Sparkasse und noch weitere vergleichbare
Instituionen.
Solche "Auslagerungen"
sind nicht pauschal zu verurteilen. Sie ermöglichen z.B. eine
Zusammenarbeit mit dem Landkreis bei den Zweckverbänden, sie sind
eine sicher wirksame Reaktion auf die Marktkonkurrenz, in der
städtische Unternehmen zunehmend stehen, und sie vermeiden für
den Geschäftsgang schwerfällige Stadtratsentscheidungen. Folge
ist aber trotz dieser Vorteile eine tiefgreifende Veränderung der
demokratischen Willensbildung in unserer Stadt. Auch wenn die
meisten Gremien mit demokratisch gewählten Mitgliedern aus den
Reihen des Stadtrats besetzt sind, teilweise orientiert an den
Fraktionsstärken, entziehen sie sich doch elementar einem der
wichtigsten Aspekte von Demokratie: der Öffentlichkeit und der
Transparenz. Weder Bürgern und Bürgerinnen noch den Medien ist
es möglich, den Entscheidungsfindungen direkt beiwohnen und diese
aus eigenem Urteil bekannt zu machen.
Maulkorb für Aufsichtsräte
Bis auf die Zweckverbände tagen
alle genannten Gremien nichtöffentlich. Was über die Sitzungen
nach außen dringt, bestimmt der Vorsitzende, also in der Regel
Oberbürgermeister Lauer. Das einfache Gremien-Fußvolk bekam von
ihm einen Maulkorb umgehängt: Noch nicht einmal den
FraktionskollegInnen darf über Inhalte der Sitzungen berichtet
werden. StadträtInnen, die keiner Fraktion angehören, bzw.
kleine Fraktionen stehen in der Regel ganz außen vor: Wenn sie
wissen wollen, was etwa in der Sozialstiftung oder bei den
Stadtwerken abgeht, sind sie auf die wenigen KollegInnen
angewiesen, die sich über solche Vorgaben hinwegsetzen, ansonsten
bleibt nur: Zeitung lesen. Und auch bei den Zweckverbänden hilft
die Öffentlichkeit wenig: Ohne entsprechende Sitzungsunterlagen
ist eine Teilnahme für die Katz – Unterlagen bekommt man aber
wiederum nur als offizielles Mitglied in der
Zweckverbandsversammlung.
Oft genug ist aber auch die
Informationspolitik innerhalb der Aufsichts-, Stiftungs- und
Verbandsräte mehr als dürftig. Der jeweilige Vorsitzende und
sein Geschäftsführer (in Person des Oberbürgermeisters und
eines städtischen Angestellten) halten die eigentlichen Fäden in
der Hand, denn allein sie haben über die laufenden Geschäfte und
Internas die volle Kenntnis. "Maul halten und
zustimmen!" – so muss man die von OB Lauer ausgegebene
Maxime wohl oder übel interpretieren. Die meisten StadträtInnen
geben sich damit auch zufrieden. Die Politik hat ihren
Gestaltungsanspruch aufgegeben und nimmt die von den
Geschäftsleitungen vorgegebenen Entscheidungen letztlich nur noch
zur Kenntnis.
Städtischer Haushalt schrumpft
Was hier demokratietheoretisch
klingt, macht sich jedoch im alltäglichen Leben bemerkbar: Ob und
wie Bustarife steigen, wie teuer Strom und Gas sind, wie Menschen
im Krankenhaus und im Altenheim betreut und versorgt werden oder
ob unsere Kinder in gut oder schlecht ausgestatten Schulen lernen
– das wird heutzutage nicht mehr im demokratisch legitimierten
Stadtrat diskutiert.
Eklatant deutlich wird dies auch
bei einem Blick auf den städtischen Haushalt, der zwar
alljährlich im Dezember ausführlich und mit großem
Medieninteresse diskutiert wird, aber immer weniger Bedeutung hat.
Nur noch ein Teil der Finanzen des "Konzerns" Stadt ist
im eigentlichen Haushaltsplan veranschlagt. Der Rest fließt
anderswo – ohne dass der Stadtrat darauf noch einen nachhaltigen
Einfluss hätte.
Die Stadt selbst hat nur noch
über einen Teil des Geldes die Entscheidungshoheit. In der Grafik
nicht aufgeführt: weitere neun Zweckverbände, Stiftungen und
GmbHs, deren Haushalte sich zusammen in dreistelliger
Millionenhöhe bewegen. (Zahlen aus 2003/04)
Stadt Bbg = Vermögenshaushalt,
Verwaltungshaushalt und Haushalt des EBB
Stadtwerke = alle Einzelbetriebe
Energie/Wasserversorgung, Verkehr/Park, Bäder, Stadtbus und
Holding
Der Markt entscheidet
Wie, wohin und warum dieses Geld
fließt, bestimmen immer weniger politische Debatten und
demokratisch legitimierte Zielvorgaben, sondern das rein
betriebswirtschaftlich orientierte Handeln der
Geschäftsleitungen. Und Kostenreduzierung ist da oberstes Gebot.
Personal wird nicht mehr von der Stadt angestellt, sondern von
eigens dafür gegründeten GmbHs, weil dann die Löhne nicht mehr
dem Tarif im öffentlichen Dienst unterliegen – wie etwa bei
allen in den letzten Jahren neu eingestellten Busfahrern oder
Reinigungs- und Küchenkräften. Wichtig ist, was am Jahresende
unterm Strich rauskommt. Dass städtische Altenheime oder
Verkehrsbetriebe auch politische Instrumente sein könnten, um
z.B. das Leben im Alter in einer Stadt würdig zu gestalten oder
mehr Verkehrsberuhigung und weniger Schadstoffbelastung in der
Innenstadt zu erreichen, steht so gut wie nicht mehr zur Debatte.
Das Augenmerk wird vor allem gerichtet auf Markteffizienz,
Konkurrenzfähigkeit und Bilanzen.
Zurückgeblieben sind 44
Stadtratsmitglieder, denen allmählich klar werden sollte, dass
sie einen Großteil ihrer Entscheidungsbefugnisse wissentlich an
eine anonyme Instanz namens "Markt" übertragen haben.
Das Gemeinwohl – jenes sonderbare Ziel, dem sich der Stadtrat
eigentlich verpflichtet sehen müsste – spielt im Marktgeschehen
aber – wenn überhaupt – nur eine unbedeutende Nebenrolle.
Neoliberale Tendenz bundesweit
Bei all dem handelt es sich
beileibe nicht um eine Bamberger Besonderheit, sondern um eine
neoliberale Tendenz, die – mehr oder weniger stark – in allen
bundesdeutschen Kommunen zu beobachten ist. Dass wichtige
politische Bereiche der demokratisch-öffentlichen Diskussion
entzogen werden, hat die GAL seit jeher kritisiert. Es ist ein
gesamtgesellschaftliches Umdenken nötig, um diese Entwicklung
aufzuhalten. Konkret in Bamberg hat jedoch die Geschäftspolitik
der städtischen Konzerntöchter schleunigst wieder dort auf der
Tagesordnung zu stehen, wo sich die von den BürgerInnen
gewählten MandatsträgerInnen befinden: im Sitzungssaal im
Rathaus. Und der Maulkorb-Erlass des Oberbürgermeisters sollte
umgehend befördert werden, und zwar in den Papierkorb.
Weiterhelfen könnte hier immerhin eine Gerichtsurteil des
Verwaltungsgerichts Regensburg, das eine allumfassende
Nichtöffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen vor kurzem
ablehnte. Die GAL stellte daraufhin sofort den Antrag, die Praxis
in Bamberg auf ihre (Un)Rechtmäßigkeit zu überprüfen, was
derzeit im Rathaus geschieht.
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