Erinnerungen an die Anfänge der GAL –
Gertrud Leumer, Rudi Sopper und Jürgen Politz waren von Beginn an
dabei
V.l.n.r.: Jürgen Politz, Gertrud Leumer, Rudi Sopper (Foto:
Sylvia Schaible)
gaz: Ihr wart von Anfang an bei der GAL
dabei. Wie seid Ihr zur GAL gekommen?
Jürgen Politz: 1979 kam ich zum
Pädagogik-Studium nach Bamberg, habe anfangs Studentenpolitik
gemacht und war Mitglied in der DGB-Song-Gruppe. Meine
kommunalpolitischen Wurzeln liegen eigentlich in der Besetzung des
E-Werks. Es gab damals eine politisch engagierte Studentengruppe,
die sich mit dem Thema Wohnungsnot befasste. Und diese Zeit war
auch die Hochzeit der Hausbesetzungen. Bald war klar, dass auch
wir in Bamberg eine Hausbesetzung durchführen wollten. Und sehr
bald stand auch das E-Werk als passendes Objekt fest. Der Stadtrat
hatte beschlossen, es abzureißen, obwohl es noch sanierungsfähig
war und viele Möglichkeiten geboten hätte.
gaz: Und dann wurde das E-Werk besetzt?
Jürgen Politz: Ja, im Februar 1981. Es war
eine kurze und spektakuläre Aktion. Über 70 Leute haben sich
daran beteiligt – übrigens nicht nur Studenten. Aber es hat
nicht länger als 24 Stunden gedauert. Dann hat die Polizei das
Gebäude geräumt.
Rudi Sopper: Gott sei Dank – es war
arschkalt. Viel länger hätten wir es gar nicht ausgehalten. Aber
die E-Werk-Besetzung war eine Mischung aus Pleite und Erfolg.
Immerhin ist es inzwischen saniert und beherbergt seit Jahren die
VHS – ohne die E-Werk-Besetzer wäre heute nichts mehr davon
übrig. Damals allerdings haben alle 72 Besetzer einen Strafbefehl
gekriegt und sind auch verurteilt worden – zu Geldstrafen wegen
Hausfriedensbruch.
Ostermarsch Bamberg-Nürnberg 1982: Jürgen Politz mit Gitarre.
(Foto: GAL-Archiv)
gaz: Liegen deine GAL-Wurzeln auch im
E-Werk?
Rudi Sopper: Ja, ein Teil. Ich bin 1973 an
die Uni in Bamberg gekommen und habe vor allem Uni-Politik und
andere Gremienarbeit gemacht. Damals war ich SPD-Mitglied. Erst
zum Ende des Studiums kam ich zur Kommunalpolitik. 1978 habe ich
den "Goblmoo" aus der Taufe gehoben, eine Stadtzeitung,
die drei Jahre lang monatlich erschien, rein durch ehrenamtliches
Engagement der Redaktion. 1981 kam dann die E-Werk-Besetzung und
bald darauf wurde der Arbeitskreis Kritische Kommunalpolitik
gegründet.
gaz: Was war das für ein Arbeitskreis?
Rudi Sopper: Anlass war die
Karolinenstraße 17 – das Eckhaus zur Lugbank sollte abgerissen
werden, weil es dem Autoverkehr im Wege stand. Im sogenannten AKK
waren wir vielleicht sieben bis acht Leute, hatten aber großen
Rückhalt in der übrigen Bevölkerung – und Erfolg. Heute ist
das Haus wunderbar saniert und ist ein Vorzeigestück im
Welkulturerbe. Nach dem E-Werk war die Erhaltung der
Karolinenstraße 17 der zweite spektakuläre Erfolg von Leuten,
die sich kritisch engagiert haben.
gaz: Und dann hat sich daraus ein fester
Zusammenschluss entwickelt?
Rudi Sopper: Fester Zusammenschluss wäre
zu viel gesagt. Aber man hat sich überlegt, an Kommunal-Wahlen
teilzunehmen. Damals gründeten sich ja überall in Deutschland
grüne, alternative und bunte Listen, aus denen die grüne
Bundespartei hervorging. In Bamberg haben wir beschlossen, dass
die OB-Wahl 1982 die Probe sein sollte. Und ich wurde zum
OB-Kandidaten gekürt, 30 Jahre war ich damals alt.
Gertrud Leumer: Zu diesem Zeitpunkt bin ich
dazu gekommen. Ich war 17 oder 18, jedenfalls noch in der Schule.
Und eine Freundin hat mich zu der Versammlung mitgenommen, bei der
Rudi als OB-Kandidat nominiert wurde. Ich selbst habe überhaupt
niemanden sonst gekannt. Meine Freundin war gewerkschaftlich
organisiert und kam also aus dieser Ecke zur GAL. Das heißt,
damals war das ja noch die BA, die "Bamberger
Alternative". Bei dieser Nominierungsveranstaltung waren
ungefähr 60 Leute da, viele aus reiner Neugierde – man wollte
sehen, was denn das für "Stänkerer" sind, diese
Alternativen. Und die Sympathisanten kamen aus den
unterschiedlichsten Gründen und Richtungen: Friedensbewegung,
Gewerkschaften, Frauenbewegung, Umweltschützer, Denkmalschützer
usw. – und vielleicht wie ich – eben aus Zufall. Im Anschluss
an die Veranstaltung wurde das Foto für das
"legendäre" erste Plakat der BA gemacht. Und da war ich
dann eben auch mit drauf.
gaz: Wie ist die OB-Wahl dann für die BA
und ihren Kandidaten ausgegangen?
Rudi Sopper: Wir haben 4,34% der Stimmen
bekommen. Das war absolut unglaublich. Völlig aus dem Stand
4,34%, ohne eine feste oder gar etablierte Organisation im
Rücken! Wir haben uns gefreut wie die Schneekönige.
Jürgen Politz: Damit war klar, dass wir zu
den Kommunalwahlen zwei Jahre später antreten würden. Nun wurde
die Frage aktuell, ob man mit dem bereits existierenden grünen
Kreisverband zusammengehen wollte. Es gab noch einige Rangeleien,
vor allem weil der Vorstand des grünen Kreisverbandes wohl
fürchtete, von der BA irgendwie überrollt zu werden. Aber die
Mehrheit der Mitglieder war letztendlich für einen
Zusammenschluss. Und so wurde aus BA und Grünen die
"Grün-Alternative Liste", die GAL, gegründet.
Eines der Fotos für das erste Wahlplakat der Bamberger
Alternative 1982. Der titel des Plakats lautete: "Wir sind
die, vor denen Röhner und de With schon immer gewarnt
haben." Ganz vorne mit Schild OB-Kandidat Rudi Sopper,
stehend mit Zettel in der Hand Gertrud Leumer. (Foto: Armin
Eckert)
gaz: Bei den Stadtratswahlen 1984 erhielt
die GAL 6,59% der Stimmen und damit drei Mandate. Rudi, du warst
einer dieser drei Stadträte. Wir war‘s als
"Alternativer" im konservativ geprägten Bamberger
Stadtrat?
Rudi Sopper: Es war ganz schrecklich! Es
war richtig richtig schlimm! So dass man Alpträume kriegen
konnte. Der damalige Oberbürgermeister, Paul Röhner, hat
regelrecht versucht uns rauszuekeln. Wir von der GAL kannten die
Geschäftsordnung des Bamberger Stadtrats jedenfalls besser als
alle anderen, weil wir ständig unsere Rechte einfordern mussten.
Dem OB war das alles wurscht. Wenn wir unsere Redebeiträge
hielten, führten die Stadtratskollegen plötzlich
Privatgespräche, ohne dass der OB eingriff – oft genug
unterhielt er sich sogar demonstrativ selbst mit jemandem. Wir
wurden immer wieder übergangen oder nicht beachtet. Mehrfach ist
es sogar passiert, dass der Sitzungssekretär, Herr Höppel, sich
zu Wort meldete und auf Vorschriften verwies, die zu unseren
Gunsten lauteten. Einfach, weil er so entsetzt war, wie man mit
uns umsprang. Das war übrigens sehr mutig von ihm.
gaz: Und die übrigen Stadtratsmitglieder,
die ja eigentlich Kollegen und Kolleginnen von euch waren?
Rudi Sopper: Auch von denen haben uns die
meisten geschnitten und schlecht behandelt. Ich kann mich an einen
Vorfall erinnern: Ein Kollege ärgerte sich wohl über eine
Wortmeldung von mir. Jedenfalls sprang er auf, stellte sich vor
mir auf und schrie: "Ich hau dich untern Tisch nunter!"
Auf meine Frage in Richtung OB, ob er nicht einschreiten wolle,
hat dieser nicht mal reagiert.
gaz: Haben solche Vorfälle nicht auch in
der Öffentlichkeit für Wirbel gesorgt?
Rudi Sopper: Davon hat die Öffentlichkeit
nichts erfahren. Über so etwas hat der FT nie berichtet. Dort
stand immer nur sinngemäß: "Bei der Abstimmung war die GAL
wieder mal dagegen".
gaz: Und wie habt Ihr diese Atmosphäre
ausgehalten?
Rudi Sopper: Wir haben uns nach jeder
Sitzung zusammengesetzt und uns gegenseitig gestützt. Was will
man machen? Mit drei Leuten gegen 40 kann man schließlich keine
Schlägerei anfangen. Nach drei bis vier Jahren hat sich auch
vieles gebessert, aber anfangs war die GAL wohl so etwas wie ein
Kulturschock.
"Die erste Zeit im
Stadtrat war richtig richtig schlimm."
"Die GAL war ein
Kulturschock."
gaz: Der Politik-Stil der GAL war also neu
und ungewohnt?
Rudi Sopper: Ja, wir hatten auch einen
drastischeren Politik-Stil: Einmal wollten wir dem Stadtrat die
schlechte Situation von Asylbewerbern vor Augen führen und dass
die Essenspakete für sie in einem hanebüchenen Zustand sind. Wir
haben uns also ein solches Essenspaket besorgt und es bei einer
Sitzung ausgepackt und an die Kollegen verteilt. Da war der Teufel
los. Das Gemüse war halb verfault, ein altes Hähnchen hat
gestunken, es war sehr unappetitlich. Und viele Kollegen waren
tatsächlich betroffen – jedenfalls zunächst. Geändert hat
sich leider nichts. Bald darauf hatte man Erklärungen des
Lieferanten parat, das sei eine Ausnahme gewesen, und es wurde
Besserung versprochen. Das war‘s dann.
Jürgen Politz: Aus meiner Sicht – ich
habe damals als Sekretär für die Fraktion gearbeitet – hatten
wir zu Teilen der Verwaltung eher einen guten Draht und haben von
dort auch Informationen bekommen. Röhner als OB war ja
unglaublich autoritär und hat wie ein eiserner Besen gekehrt,
darunter haben auch die Beschäftigten gelitten. Ich glaube, nicht
wenige waren froh über die GAL, die sich so leicht nichts
gefallen ließ.
gaz: Hat die GAL denn in der Anfangszeit im
Stadtrat überhaupt etwas erreichen können?
Jürgen Politz: Über Umwege schon. Es
wurden zwar fast alle Anträge abgelehnt und kamen in die
Schublade. Aber nach Jahren sind sie oft wieder rausgewandert und
wurden in irgendeiner Form doch verwirklicht. Eine wichtige
Funktion der GAL war auch, Informationen öffentlich zu machen,
sozusagen parlamentarische Kontrolle.
Rudi Sopper: Die GAL hat auch Themen
erstmals etabliert. Zum Beispiel, dass man Verkehrspolitik auch
aus der Nicht-Auto-Sicht betrachten kann. Und wir haben das
Diskussionsklima beeinflusst – dass überhaupt über
Tagesordnungspunkte kontrovers diskutiert wurde. Auch bei den
Haushaltsberatungen wurde bis dahin ja praktisch nichts am
Verwaltungsvorschlag geändert – es gab keine Haushaltsdebatte.
Und wir sind jedesmal mit stapelweise Anträgen aufgetaucht. Ich
weiß, dass ich einmal zu spät zur Sitzung gekommen bin, weil ich
einfach mit dem Kopieren nicht fertig wurde.
Jürgen Politz: Es gab vor der GAL
schlichtweg keine Opposition. Der Stadtrat war immer wie eine
"große Familie".
gaz: Die GAL hat sich doch sicher auch
verändert in diesen zwanzig Jahren?
Jürgen Politz: Anfangs waren die BA und
dann die GAL mehr ein Forum für die verschiedensten Gruppen.
Inzwischen liegt der Schwerpunkt eindeutig auf der Kommunalpolitik
und die Hauptorientierung geht in Richtung Parlamentarismus. Dazu
hat sicher auch die Entwicklung der Grünen allgemein beigetragen.
Gertrud Leumer: Leider wird das von den
Leuten oft vermengt: die Grünen auf Bundes- und Landesebene und
die GAL in Bamberg. Das Auf und Ab andernorts färbt auch auf die
GAL ab, obwohl man hier andere, eben Bamberger Maßstäbe, anlegen
müsste. Das finde ich sehr schade.
Rudi Sopper: Bei der Entwicklung seit den
80ern muss ich eindeutig trennen. Die grüne Partei hat sich stark
verändert. Sie war anfangs eine system-kritische Opposition, die
den Umbau wollte und für Kapitalismus-Kritik stand. Dieses grüne
Profil ist aus meiner Sicht weitgehend verloren gegangen – die
Grünen sind stromlinienförmig geworden. Diese Entwicklung finde
ich nicht gut. Die GAL in Bamberg sehe ich hingegen mit großer
Sympathie, auch alle kommunalpolitischen Ziele, für die die GAL
steht. Die GAL, so wie ich sie kenne, ist sich treu geblieben.
Das Interview führte Sylvia
Schaible.
Lesen Sie zu "20 Jahre GAL" auch eine kleine
historische Chronologie aus der gaz 57
und die GAL-Homepage Historisches
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