von Johannes Wagner-Friedrich
Keine ausgeprägte Erinnerungsarbeit
"Nach Erkenntnissen der Polizei sind in
Bamberg ca. 40 Personen dem organisierten Neonazismus
zuzuordnen." Das erfuhr der Bamberger Stadtrat Ende September
dieses Jahres aus einem Bericht über die hiesige rechtsextreme
Szene. Eine nach Meinung der Stadt nicht Besorgnis erregende Zahl.
40 Menschen kann man überblicken. Geht man allerdings davon aus,
dass auch diese 40 Menschen sich frei bewegen und wohl kaum
ständig überwacht werden können, fragt es sich, ab welcher
Zahlengröße Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut anfangen,
in einem Gemeinwesen wie Bamberg Besorgnis zu erregen.
Leider taugen Berichte nur solange nichts
passiert. Und sie lenken den Blick ab von der Wirklichkeit. Selbst
ein paar Rechtsradikale genügen, das lernen wir aus den
täglichen Zeitungsmeldungen, um ungeschützte Menschen in Angst
und Schrecken zu versetzen. Und das Problem ihrer Existenz
bestätigen letztenendes diejenigen, die sie gewähren lassen. Die
zusehen, aber nicht intervenieren. Die zuhören, aber keine
Widerrede leisten. Die wissen, aber mit den Schultern zucken und
ihre Ruhe haben wollen.
Das wirklich Erschreckende ist die
Gleichgültigkeit der Unbetroffenen. Sie werden ja schließlich
nicht durch die Straßen gejagt. Ihnen wirft ja niemand einen
Brandsatz in die Kirche. Ihnen kann man ja nicht nachsagen, daß
sie nur auf Kosten der Gesellschaft hier leben. Und deswegen
bleiben sie stumm. Sie mögen diese rechten Spinner nicht, also
wollen sie auch nicht mit ihnen behelligt werden. Das sind eh nur
Kriminelle, und für die sind die Polizei und die Gerichte
zuständig.
Es ginge auch ein wenig anders. In Schweden zum
Beispiel hat der Regierungschef die erschreckende Unkenntnis der
Jugend des Landes, und nicht nur der Jugend, zum Anlaß genommen,
von zwei jungen Historikern ein Buch darüber schreiben zu lassen,
wie der Antisemitismus in Europa entstand, wie er gepflegt und
gefördert wurde und wie er sich die weit überwiegende Mehrheit
der Bevölkerung zu heimlichen und öffentlichen Komplizen machte.
Dieses Buch bekam jeder Schüler Schwedens und zusätzlich jeder
Haushalt des Landes. Die Regierung spekulierte auf die
Verblüffung, die Neugier und den Wissensdurst der Menschen und
hatte nachhaltigen Erfolg.
Eine ähnliche Aktion, zum Beispiel mithilfe
dieses Buches, das es auch auf deutsch gibt und das nicht viel
mehr als ein Taschenbuch kostet, könnte die Stadt Bamberg
starten. Schulen könnten den Ball aufgreifen und den
Nationalsozialismus zum Gesprächs- und Lehrstoff in allen
Jahrgangsstufen machen. Kirchengemeinden und Jugendverbände
könnten Patenschaften übernehmen für hier lebende Menschen ohne
deutschen Pass.
So würde aus der vom Stadtrat angemahnten
Wachsamkeit ein lebendiger Prozess werden, der nicht nur
Angelegenheit von Polizei und Justiz bleibt, sondern eine ganze
Stadt bewegt, die so gewichtige Attribute in ihrem Beinamen
trägt: Welt – Kultur – Erbe.
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