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Die Kultur-gaz

Editorial

Für die Sonderseite Kultur-gaz haben wir hiesige Kulturschaffende eingeladen, Bambergs Bewerbung zur Kulturhauptstadt zu kommentieren. Für eingegangene Beiträge danken wir Christiane Pfohlmann (Karikatur "Bamberg bewegt"), Florian Betz, Rosa Brunner und Judith Siedersberger.

 

Kultur für alle! Von wem? – Von allen!

von Florian Betz

Es ist ein fragwürdiger Begriff, die "Kulturhauptstadt Europas". Wie kann das Wort Kultur, das so eine unermessliche Bedeutungsspanne hat, mit dem Wort Europa – einem ganzen Kontinent – in einer einzigen Stadt Platz finden? Weshalb findet kein "europäisches Kulturfestival" oder eine "Europaausstellung" statt?

Es muss also etwas mit der Stadt selbst zu tun haben, etwas, das die europäische Kultur derart beeinflusst, dass sie ein volles Jahr den Fokus auf sie richtet.

Aber was ist dieses Etwas? Gibt es das denn auch hier, in Bamberg?

Wir machen keine Weltkultur, wir haben sie geerbt. Die kulturellen Darbietungen sind in ihrer Form schon lange bekannt, sie haben ihre Zeit einmal bewegt, sie waren innovativ und modern.

Und jetzt? Was kommt nach Rathaus, Rauchbier, Apfelweibla? Was Bamberg neben all seinen Kulturklassikern fehlt, ist ein Schritt nach vorne, hin zu einer Neuheit, gemacht von allen, die sich für eine Neuerung interessieren. Die Öffnung der Stadt gegenüber Ideen von Bürgern und die Vernetzung von kulturell Schaffenden (im Rahmen der Bewerbung zur Kulturhauptstadt) ist der erste, vielversprechende Ansatz zu diesem Schritt.

Es gibt viele, die sich mit Kultur auseinandersetzen würden, nur fehlt es ihnen oft an den Grundlagen.

Deshalb hier ein paar kleine Aufrufe an den Leser (teilweise etwas klamaukartig, aber das ist eben Kultur):

  • Sei kreativ! Schaffe neue Dinge oder gebe alten Dingen neuen Sinn! Material dazu findet sich überall, du musst auch mal nehmen, was gerade da ist.

  • Zeige deine Werke! Neue Dinge sind interessant und werden meist gerne gesehen.

  • Sei offen für Anderes! Neues verlangt Toleranz und Geduld, um es zu verstehen.

  • Unterstütze andere in ihrer Kreativität! Stelle ihnen Raum, Material und Arbeitskraft für Neues zur Verfügung!

Die letzten zwei Punkte gelten besonders für die Politik, denn es wäre schön und nötig, dass sie genau so viel Ehrgeiz bei der Realisierung kreativer Phantasien Einzelner zeigt wie bei der Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas.

Florian Betz ist ehrenamtlicher Mitarbeiter des Jugendkulturtreffs Immer Hin

 

Fiktion und Realität

von R. Brunner und J. Siedersberger

Wir schreiben das Jahr 2010

Bamberg ist Europäische Kulturhauptstadt und präsentiert sich neben musikalischen Höhepunkten und gewagten Erstaufführungen Jungen Theaters als Ort pulsierender zeitgenössischer Kunst.

Bereits 2004 wurde ein selbstverwaltetes Kulturforum im ehemaligen Ufa-Kino eröffnet, das Ausstellungsräume, eine Artothek, Werkstätten, Ateliers und eine Kinder- und Jugendkunstschule beherbergt. Das Kulturforum wird unterstützt vom Verein "Freundinnen und Freunde Bamberger KünstlerInnen".

Leerstehende städtische Immobilien wurden für experimentelle und avantgardistische Kunstprojekte zur Verfügung gestellt.

Jedes Jahr sendet Bamberg zwei seiner KünstlerInnen als BotschafterInnen für sechs Monate in eine Partnerstadt. Nach ihrer Rückkehr stellen diese ihre Erfahrungen und Eindrücke in einer visionären Retrospektive der nach Kunst lechzenden Öffentlichkeit vor.

Die Kulturstation im Cyberrathaus wird von einem Freak aus der Bamberger Kulturszene geleitet. Dort befindet sich auch die Schaltstation, das Herz der Kultur, ein Netzwerk mit dem alle Kulturschaffenden wireless verbunden sind. Seit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt wandelte sich das Berufsbild des Bamberger Beamten hin zum freien Künstler.

Auch der städtische Haushalt, der vorher im Schuldenberg zu ersticken drohte, erholte sich in Lichtgeschwindigkeit durch die Produktivität dank der künstlerischen Erkenntnisse aller Ex-Beamten. Kunst wurde erst zur Nahrung, dann zur Sucht.

Bamberg 2004

Euphorisch wird der Staffelstab mit der Bewerbungsschrift zur Kulturhauptstadt im Zick-Zack-Kurs zu Land, zu Wasser und durch die Luft nach München gebracht. Jetzt ist dem Kleinstädter klar – alles ist Kultur: ob Kürbis oder Bobby Car – Bamberg ist in mehrfacher Hinsicht eine noch unentdeckte Kultur(haupt)stadt Europas.

Bamberg erfüllt nahezu alle EU-Kriterien für eine Benennung zur Kulturhauptstadt Europas mehrfach und hat im europäischen Städtevergleich kulturgeschichtlich wie aktuell Herausragendes zu bieten.

Für die ansässigen Bildenden Künstler sieht das wie folgend aus: den Ankaufs-etat für Kunst gibt es nicht mehr, Ausstellungsräume bleiben wegen fehlender Finanzen leer, Anerkennung als KünstlerIn in Bamberg ist weiterhin Utopie.

Rosa Brunner und Judith Siedersberger sind freischaffende Künstlerinnen in Bamberg. Ihre Homepage: www.bluemerant.de


Karikatur von Christiane Pfohlmann

 

Sind Bobby-Cars und Bierdeckelsprüchla alles?

Ein Kommentar der gaz-Redaktion

 

Manche meinen ja, es sei schon vermessen und größenwahnsinnig gewesen, dass die Provinzstadt Bamberg sich überhaupt für den Titel der "Kulturhauptstadt Europas 2010" beworben hat. Es lässt sich sicher darüber streiten, ob Bamberg wirklich das Zeug dazu hat – letztlich entscheidend ist aber, was die Stadt aus dieser Bewerbung macht. Wird die städtische Kulturpolitik aus ihrem Dornröschenschlaf zwischen Dom, Residenz und Symphonikerklängen erwachen? Kommt Kultur in die öffentliche Diskussion und bewegt die Bürger und Bürgerinnen? Verschafft die Bewerbung Kulturschaffenden Gehör? Und vor allem: Entwickelt man Perspektiven für die Zukunft?

Die meisten all dieser Hoffnungen sind bisher solche geblieben. Mit dem Kulturhauptstadtbüro wurde eine Struktur geschaffen, die Events organisiert, um Inhalte aber einen weiten Bogen macht. Perspektivische Debatten wurden bisher vor allem außerhalb dieser Struktur initiiert: von Chapeau Claque, dem Stadtplanerverband SRL und freischaffenden KünstlerInnen. Als Ergebnis dieser Diskussionsrunden blieben beachtliche, aber bis dato folgenlose Protokolle. Denn zumeist kamen Defizite und Kritik zur Sprache – und dafür hat man im städtischen Kulturhauptstadt-Taumel kein offenes Ohr.

Inhalte und Perspektiven wurden bei der Bewerbung Bambergs ersetzt durch eine Litanei des Vorhandenen. Und das ganze gipfelte dann in einer zweifelhaften Inszenierung von spirituellen Lichtschiffchen, die in der Regnitz absoffen, und einer zelebrierten Bierdümpfelei, die auch durch flotte Bierdeckelsprüchla nicht kulturell hochwertiger wird. Als amüsantes Beiwerk wären solche Aktionen ja erträglich, aber als eigentliche Substanz der Möchte-Gern-Kulturhauptstadt Bamberg verursachen sie eher Magengrimmen als Herzklopfen.

Das Einzige, was Stadt und Kulturhauptstadtbüro tatsächlich geschafft haben, ist so etwas wie Bürgerbeteiligung. Beim Staffellauf hat Bamberg – gemäß dem Bewerbungsmotto – tatsächlich bewegt: Wer hat nicht alles teilgenommen? Hubschraubernde Tiefbauunternehmer, Bobby-Cars, extremistische Radler, Kletterer, Traktoren und Oldtimer. Kultur musste man bei diesem Event zwar suchen, aber irgendwie war dieser Mut zur Geschmacklosigkeit auch schon wieder charmant, und gegen fröhliche Kinder oder zufrieden-muskelverkaterte Radsportler ist ja nicht ernsthaft etwas einzuwenden.

Dennoch: nachdem die Etappe "Bewerbung" bewältigt ist, muss sich die Stadt nun wirklich bewegen – und zwar in den Köpfen. Statt Events brauchen wir Visionen, statt Nabelschau einen offenen Blick und statt Selbstbeweihräucherung ein positive Auseinandersetzung mit Kritik.

 

Finden Sie den Unterschied?

Auflösung: Der Unterschied sind 6 Monate und 70.000 Euro. Die Eigenwerbung der Firma "text + pr" erschien im Fränkischen Frauenbranchenbuch im September 2003 - der von eben dieser Firma promotete Kulturstaffellauf fand Ende März 2004 statt. Für ihre gesamten Beratungsleistungen während der Kulturhauptstadtbewerbung zahlt die Stadt 70.000 Euro an "text + pr".