In der Theresienstraße 2 bringt die
Stadt obdachlose Männer unter – der bauliche Zustand ist
katastrophal – künftig soll sich ein Sozialpädagoge um
Reintegration bemühen
Monoblock-Sessel und ein Tisch
stehen in einer Ecke des Hinterhofs, dazu ein altes Nachtschränkchen
mit einer Yucca-Palme darauf. Am Tisch sitzen vier Männer,
Bierflaschen vor sich, den schönen Ausblick auf sonnige
Gärtnerfluren genießend. Aber hinter der gemütlichen
Atmosphäre verbirgt sich hartes Schicksal. Der Hinterhof gehört
zum städtischen Obdachlosenheim für Männer in der Theresienstr.
2 – im Bamberger Amtsdeutsch "die TH 2" genannt. Und
die Männer sind arbeitslos, teilweise sichtlich alkoholabhängig
und "haben schon einiges auf dem Kerbholz", wie einer
von ihnen offen zugibt.
Die TH 2 ist das letzte
Auffanglager für Menschen, die durch sämtliche Maschen des
sozialen Netzes gerutscht sind. Zu Obdachlosigkeit können viele
Umstände führen: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung,
Kriminalität und Straffälligkeit – oder üble Kombinationen
aus mehrerem.
Vor ein paar Monaten kam
beispielsweise der 40-jährige Nürnberger Arthur S. (Name von der
Redaktion geändert) hierher: Von seiner Freundin wurde er aus der
Wohnung geworfen, wegen Alkoholproblemen und anderer
Streitigkeiten. Nach einer Prügelei musste er eine Zeit lang ins
Krankenhaus und als er heraus kam, hatte er keine Bleibe mehr.
Dann ging er nach Bamberg, schlug sich eine Zeit lang durch,
wandte sich dann an das Projekt "Menschen in Not", das
in der Unteren Königstraße für Obdachlose eine Anlaufstelle
bietet. Schließlich wurde ihm vom Wohnungsamt ein Zimmer in der
TH 2 zugewiesen.
Wie ein schwarzes Loch
In Fällen wie Arthur S. ist die
Stadt verpflichtet zu helfen. Laut Gesetz stehen jedem obdachlosen
Menschen mindestens 10 Quadratmeter Wohnraum zu. Dennoch lassen
sich viele Männer nicht in die TH 2 "einweisen", weiß
Martin Weiß-Flache, der das Projekt "Menschen in Not"
hauptamtlich leitet und sich seit Jahren in der Szene auskennt.
"Die TH 2 ist eine Art schwarzes Loch, aus dem man schwer
wieder rauskommt. Es ist die letzte Adresse in Bamberg, tiefer
kann man eigentlich nicht sinken", erklärt er. Viele Männer
schlafen lieber auf Parkbänken, unter Brücken oder schlagen sich
bei Bekannten durch, bevor sie die Theresienstr. 2 als
offizielle Melde-adresse in Kauf nehmen.
Das Leben dort ist nämlich hart:
Immer wieder wird randaliert und geprügelt, gibt es Streit unter
den Männern, werden Sachen zerstört oder gestohlen, immer wieder
muss die Polizei einschreiten. Nächtlicher Lärm, so weiß Martin
Weiß-Flache, hält oft diejenigen vom Schlafen ab, die sich
tagsüber Gelegenheitsjobs im Hafen suchen. Nicht jeder Mensch
hält so etwas aus.
Totenkopf als Aushängeschild
Eine solch angespannte Atmosphäre
passt zu den dunklen trostlosen Gängen in der ehemaligen Kaserne
in der Theresienstraße. Wann hier von der Stadt das letzte Mal
Renovierungsarbeiten vorgenommen wurden, weiß nicht einmal mehr
die Amtsleiterin des Wohnungsamts, Christine Weber. Abgeranzte
Holzdielenböden, abblätternder Putz, Schimmelstellen oder auf
Putz liegende Leitungen sind noch das wenigste.
Die Zimmer sind mit einfachsten
Holzöfen ausgestattet, das Holz müssen sich die Bewohner selbst
beschaffen. Küchen sind nicht vorhanden, man behilft sich mit
Kochplatten in den Zimmern, wo es allerdings keinen
Wasseranschluss gibt. In die Sanitärräume würden auch hart
gesottene NormalbürgerInnen keinen nackten Fuß setzen: stinkende
Klos mit verschmierten Wänden und Fliesen. Zwei ebenso
unappetitliche Duschen und zwei Dusch-Badewannen für derzeit 34
Bewohner. Da scheint der auf die Wand neben dem Hauseingang
gesprühte Graffiti-Totenkopf die treffende Begrüßungsdekoration
zu sein.
Christine Weber und der
zuständige Sachbearbeiter Hermann Werner sehen diese Umstände,
gelinde gesagt, nüchtern. Für den Dreck seien die Leute
schließlich selbst verantwortlich. Und: "Wir wollen es den
Leuten hier nicht gemütlich machen", so ihr knapper
Kommentar. Die TH 2 sei ein Übergangswohnheim und solle die Zeit
überbrücken, bis die Männer wieder eine eigene Wohnung gefunden
hätten. Man wolle niemand einladen, "es sich hier bequem zu
machen".
Wie effizient dieses Konzept ist,
zeigt die Statistik: Immerhin lebt ein Drittel der Männer schon
über fünf Jahre hier, ein weiteres Drittel zwischen ein und
fünf Jahren, die übrigen 30% unter einem Jahr. Laut Weber
schaffen es viele, irgendwie wieder eine eigene Bleibe zu finden.
Eine Hilfestellung leistet das Wohnungsamt in der Regel nicht.
Stadt stellt Sozialpädagogen ein
Was die Menschen dringend
brauchen, ist eine Unterstützung, die ihnen hilft, aus der TH 2
wieder herauszukommen und sich zu einem normalen Leben
aufzurappeln – denn alleine bewältigen sie eine solch enorme
Aufgabe nicht. Immerhin macht die Stadt – nach jahrzehntelanger
Untätigkeit – jetzt einen Anfang. Ab Juli 2002 beschäftigt sie
(initiiert durch einen Antrag der SPD-Stadtratsfraktion) auf
ABM-Basis und für zunächst zwei Jahre einen Sozialpädagogen. Er
soll für die TH 2 und für die Familienunterkunft in der
Breitenau zuständig sein. "Reintegrationsmaßnahmen"
heißt sein etwas schwammiger Arbeitsauftrag. Christine Weber,
deren Amt der neue Betreuer zugeordnet ist, freut sich über diese
Entwicklung und hofft insbesondere, dass es dadurch mehr Menschen
gelingt in eigenen Wohnungen unterzukommen.
Aber da wird ein einzelner
Sozialpädagoge keine Wunder vollbringen können. Wichtig ist eine
umfassende Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen – dem
Sozialamt, dem Arbeitsamt, Bewährungshelfern, Therapiekliniken
für Alkoholkranke. "Wenn man einem Alkoholabhängigen aus
der TH 2 eine Wohnung zusichert, unter der Bedingung, dass er
vorher eine Therapie durchzieht, so könnte das der Durchbruch
für den Mann zurück ins normale Leben sein", meint Martin
Weiß-Flache. Deshalb spielt seiner Meinung nach die stadteigene
Wohnungsgesellschaft Stadtbau GmbH für den Erfolg eine
entscheidende Rolle. "Dennoch sind diese Menschen noch eine
Zeit lang auf Betreuung und Hilfsangebote der Stadt
angewiesen."
Weiß-Flaches Einschätzung über
die zu erwartende Erfolgsquote wirkt realistisch: Es gebe viele
Männer, die noch Ressourcen haben, um wieder auf die Beine zu
kommen, wie etwa Arthur S. Aber man müsse akzeptieren, dass für
einige auch diese Hilfe nichts bringen wird, dass sie den Weg
zurück zu einem normalen Leben nicht mehr bewältigen werden.
Renovierung nötig
Die neu eingerichtete Stelle des
Betreuers ist immerhin ein Anfang. Wesentlich wird sein, dass es künftig
jemand geben wird, der den Alltag dieser Menschen wahrnimmt und
nach außen vermittelt. Dazu gehört aber auch, die Bedürfnisse
der Menschen innerhalb des Heimes ernst zu nehmen – ob sie nun
ein paar Wochen oder über zehn Jahre hier leben müssen. Die
städtische Unterbringungspflicht muss sich auch an
menschenwürdigen Zuständen orientieren und darf keine
zusätzliche Demütigung sein.
Ein bisschen Menschenwürde
schaffen sich die Männer in der TH 2 gezwungenermaßen selbst. In
ihrer lauschigen Hinterhofecke erzählen sie freundlich, dass sie
sich gemeinsam ein paar Waschmaschinen im Keller angeschafft haben
– einige Jeanshosen hängen gerade auf der Leine. Und vor kurzem
haben sie die Toiletten auf ihrem Gang gestrichen und auf eigene
Kosten eine neue Klobrille angebracht. Der Sepp, der seit drei
Jahren hier wohnt, lässt für die gaz sogar sein Zimmer
fotografieren: weinrote Sofaecke, eine wilde Mischung aus
Pistolen, Deutschlandflagge und Bildern als Wandzierde und ein
Bettbezug mit himmelblauen Wölkchen. An die dunkel ergrauten
Flurwände neben seiner Zimmertür hat er ausgeschnittene
Kalenderblätter mit bunten Blumensträußen gehängt.
"Naja", meint er lächelnd, "mä mächt halt des
Beste draus."
sys
Fotos: Erich Weiß
|