GAL BAMBERG

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Kein Platz an der Sonne

Wie hilfsbedürftige Menschen von einem skrupellosen Vermieter abgezockt werden und mehrere städtische Behörden sich nicht zuständig fühlen.

Im folgenden Artikel mussten zwei Monate nach Erscheinen der gaz zwei Textpassagen entfernt werden. Hintergrund ist eine einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Bamberg vom November 2008, die der "skrupellose Vermieter" gegen die GAL erwirkt hat und nach der zwei Behauptungen nicht mehr veröffentlicht werden dürfen. Alle übrigen Äußerungen im Artikel, die jetzt noch zu lesen sind, wurden in der OLG-Verfügung ausdrücklich nicht beanstandet.
Selbstverständlich werden gaz-LeserInnen in der nächsten gaz-Ausgabe über den weiteren Verlauf informiert. (GAL, November 2008)

Übelste Zustände herrschen offenbar seit Jahren in der "Sonne" am Steinweg 9. Das Haus ist seit langem bekannt als Unterkunft für Menschen, die anderswo keine Wohnung finden – wegen Drogen- oder Alkoholproblemen, wegen Arbeitslosigkeit, Armut, abgerissenem Aussehen. Vor Jahren war das dortige Gasthaus "Sonne" eine Wärmestube für Obdachlose. Jetzt verkehren in der Kneipe vor allem die BewohnerInnen der übrigen Gebäudeteile.


Die "Sonne" am Steinweg. (Foto: sys)

Die "Sonne" galt als soziales Auffangbecken für Menschen, die einer Einweisung in die städtischen Notunterkünfte Theresienstraße oder Breitenau entgehen wollen, wo die Zustände nicht eben gemütlich sind: Wer dort landet, muss eine minimale Ausstattung in Kauf nehmen, hat eine Adresse mit schlechtem Ruf und lebt dort nicht freiwillig. Es ist sogar erklärtes Ziel der Stadt, die Behausung dort auf niedrigstem Stand zu halten, selbst Ini-tiativen der Bewohner selbst auf Verbesserungen wurden bisher immer bürokratisch gebremst. Die "Sonne" hingegen war die Alternative zu Straße und Zwangsunterbringung – schlechtes Wohnen, billige Mieten, aber wenigstens aufrechterhaltene Selbständigkeit und ein Dach über dem Kopf. Auch das städtische Wohnungsamt und die Präventionsstelle Obdachlosigkeit verwiesen Menschen, die dringend eine Unterkunft suchten, bis vor ein paar Jahren noch an die "Sonne". Im Großen und Ganzen war man in Bamberg froh, dass es auch Vermieter gab, die Unterschlupfmöglichkeiten für sozial Schwache boten.

Eigentümerwechsel im Jahr 2003

Doch das änderte sich augenscheinlich im Jahr 2003 mit einem Eigentümerwechsel. Der Immobilieninvestor G. * kaufte die "Sonne" und nahm die Vergabe der Unterkünfte selbst in die Hand. Den städtischen Stellen ließ er mitteilen, dass er keine Zuweisungen von Wohnungssuchenden durch das Amt mehr möchte. Seither kümmerte sich das Wohnungsamt nicht mehr um die "Sonne".

---------- Dieser Satz musste laut OLG-Verfügung vorläufig gestrichen werden. --------- Und immer mehr Menschen drängten sich in dem Gebäude. Offensichtlich machte G. aus der Notlage armer Menschen ein Geschäft. Sie hausten in unzumutbaren und gesetzlich unzulässigen Räumen, bei übelster sanitärer Ausstattung – und mussten dafür völlig überteuerte Mieten aufbringen, die zumeist aus Wohngeld der Stadt bezahlt wurden. Ausbeutung mit System.

Über Jahre agierte G. unbehelligt und machte seinen Reibach auf Kosten hilfsbedürftiger Menschen. Doch seit einiger Zeit will er die "Sonne" wieder abstoßen, und über Kaufinteressenten, die das Gebäude besichtigten, kamen die unhaltbaren und illegalen Zustände ans Licht. Die Augenzeugen von der Innenwelt der "Sonne" sind der gaz-Redaktion bekannt.

Überall -Schwarzbauten

Das Dachgeschoß hatte G. zu "Studentenwohnungen" ausbauen lassen – mit einer Raumhöhe von 2,20 Meter an der höchsten Stelle des Schrägdaches. Um möglichst viele Menschen unterzubringen, wurden zusätzliche Duschräume und WCs eingerichtet, die jeweils von mehreren MieterInnen zu nutzen sind. Zimmer, die offiziell für Einzelpersonen ausgelegt sind, werden von Paaren bewohnt. So teilen sich vier bis sechs Leute eine Küche am Flurende, mit einem Waschbecken als Sanitäreinrichtung. ---------- Dieser Satz musste laut OLG-Verfügung vorläufig gestrichen werden. --------- Auch im Gewölbekeller wohnt ein Mann auf seiner Matratze und hat dort zugleich seine Werkstatt. Eine Garage im Hinterhof (bereits als Schwarzbau errichtet) wurde zum zweigeschossigen "Apartmenthaus" ausgebaut, Fenster in die Brandschutzwand zum Nebengebäude geschlagen. Für die BewohnerInnen im rückwärtigen Teil des Gebäudes gibt es keinen zulässigen Fluchtweg.

Aufgrund der vorliegenden Hinweise verschaffte sich ein Kontrolleur des Bauordnungsamts Zutritt zur "Sonne" und stellte illegale Baumaßnahmen ein. Vom Eigentümer wurden Bauanträge für die zahlreichen Schwarzbauten angefordert, doch bisher noch nicht vorgelegt. Ein Teil der MieterInnen, insbesondere die umterm Dach untergebrachten Studenten, konnten inzwischen eine neue Bleibe finden. Doch beim Baurecht scheint die Zuständigkeit der Stadt aufzuhören.

Ausbeutung von HilfeempfängerInnen

Laut Auskunft des Wohnungsamt sieht man sich "machtlos" angesichts solch unhaltbarer Zustände in Privathäusern. "Wenn sich nicht die Betroffenen selbst an uns wenden, können wir nicht helfen", heißt es. Die Stadt hat auch nicht dafür zu sorgen, dass das Wohngeld, das sie als Unterstützungsleistung zahlt, auch eine menschenwürdige und ordentliche Wohnung finanziert. Es wäre eine zu weitreichende Kontrolle der Hilfeempfänger und auch mit dem Datenschutz nicht zu vereinbaren. Zwei Seiten einer Medaille also: Denn was auf der einen Seite Menschen vor allzu großer Gängelung durch den Staat schützt, öffnet auf der anderen Seite ausbeuterischen Praktiken durch vermeintlich soziale Vermieter Tür und Tor.

Die Präventionsstelle Obdachlosigkeit ist nicht zuständig, weil es sich ja nicht um Obdachlose handelt. Der Allgemeine Soziale Dienst ASD kümmert sich de facto nur um Familien, sofern diese auffällig werden. Und die Betreuungsstelle wird erst dann tätig, wenn Menschen ihre Angelegenheiten nicht mehr selbständig besorgen können und von Gerichts wegen einen Betreuer zugewiesen bekommen.

Die Gaststättenerlaubnis stand zuletzt im Jahr 2003 auf dem Prüfstand, vor dem Besitzerwechsel. Festgestellt wurde auch ein Kakerlakenbefall im ganzen Gebäude. Für die Gaststätte wurden Erneuerungen für WC-Anlagen, Küche, Personalraum, Lagerraum usw. angeordnet. Aber seither fand laut Akten keine weitere Kontrolle mehr statt.

Städtische Behörden "nicht zuständig"

Lediglich das Gesundheitsamt kümmert sich offenbar wiederholt um die Sonne – immer dann, wenn der Hausmeister, offenbar die "gute Seele" des Hauses, oder die Polizei dort um Hilfe rufen. Der Hausmeister wird nicht nur von G. für handwerkliche Tätigkeiten und die oben erwähnten Ausbauten eingesetzt, sondern scheint sich auch um ein möglichst funktionierendes Zusammenleben und das Wohl der BewohnerInnen zu kümmern. Bei allzu großer Verwahrlosung ("wenn es stinkt") schlägt er Alarm beim Gesundheitsamt, so dass der dort tätige Sozialarbeiter einspringt und sich um den "Fall" kümmert. Sozialarbeiterische Hilfe vom Staatlichen Gesundheitsamt? Eher ungewöhnlich. Eine Zusammenarbeit mit städtischen Behörden scheint es nicht zu geben. "Wir erledigen das eher unbürokratisch", heißt es. Meist werden Sozialverbände eingeschaltet, um den Menschen im Einzelfall zu helfen. Die Stadt bleibt außen vor – und die Zustände in der Sonne bleiben erhalten.

Die "Sonne" scheint ein Lehrbeispiel für zwei Dinge zu sein. Dafür, dass Investoren sich ohne Skrupel an der Bedürftigkeit armer Menschen bereichern und dies auch noch mit Großzügigkeit bemänteln. Und dafür, dass öffentliche Stellen sich nur allzu gerne hinter "Nicht-Zuständigkeit" verstecken und untätig bleiben, dass sie strukturell überfordert sind und nicht präventiv arbeiten – dafür also, dass städtische Wohnungspolitik die "Sonne" zwar nicht verantwortet, aber eben doch erst ermöglicht. Es gibt sicher nicht nur eine "Sonne" …

fripe / sys

(* Der volle Name ist der Redaktion bekannt.)