Für Nachbesserungen kein Geld da –
Grünen-Abgeordnete kritisiert G8
"Man könnte meinen, die CSU-Abgeordneten
überlassen allein der Staatsregierung das Denken." Deutliche
Worte über die Einführung des G8 fand die
Grünen-Landtagsabgeordnete Simone Tolle bei einem öffentlichen
Gesprächsabend der GAL Bamberg. Eltern und Lehrer diskutierten mit
ihr über die Schulpolitik in Bayern und übergaben der Abgeordneten
eine Petition der Bamberger Elternbeiräte gegen das G8.
Tolle nannte es für das Interesse der CSU an einem
modernen Bildungssystem beispielhaft, als bei einer
Expertenanhörung zum achtjährigen Gymnasium nur ein einziger
Abgeordneter der Mehrheitsfraktion bis zum Ende geblieben ist.
"Wer etwas über die Probleme von Schulzeitverkürzungen hätte
wissen wollen, der hätte sich da informieren können",
kritisierte die bildungspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen.
"Es reicht nicht, einfach ein paar Lehrer mehr
anzustellen und die Stundenzahl zu erhöhen", sagte Simone
Tolle über die Belastung von Schülern und Lehrern mit mehr
Nachmittagsunterricht. Es fehle an sozialpädagogischer Betreuung
und während den Mittagspausen blieben sich die Schüler häufig
selbst überlassen. An vielen Schulen gebe es nicht genügend
angemessene Räume für Unterricht, Aufenthalt und
Mittagsverpflegung. Wenn Tolle im Bildungsausschuss des Landtages
Anträge zur Verbesserung dieser Situation stellt, würden diese von
der CSU-Mehrheit regelmäßig abgelehnt. "Ich bekomme dann
immer zu hören, dafür sei kein Geld da", erzählte die
Abgeordnete. Die einzige Perspektive in Bayern sei es, so Tolle
weiter, bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, mit dem
sich Ministerpräsident Stoiber "schmücken" wolle.
"Aber das Geld für eine bessere Schulpolitik wäre vorhanden,
würde man die Priorität darauf setzen", sagte sie. Als
Negativbeispiel für millionenschwere Staatsausgaben ohne
tatsächlichen Bedarf nannte Tolle die Forstreform und den Bau des
Hofer Flughafens. Die Grünen im Landtag forderten dagegen den
Bildungshaushalt um 30 Prozent zu erhöhen. "Das geht
natürlich nicht von heute auf morgen", gab die Abgeordnete zu
bedenken. Eine schrittweise Erhöhung der Bildungsausgaben um 3
Prozent jährlich aber halte sie für vertretbar.
Das G8 verfehle in dieser Form das eigentliche Ziel,
nämlich global wettbewerbsfähiger zu werden durch jüngere
Schulabgänger. In einer Wissensgesellschaft aber müssten die
Schüler lernen teamfähig zu sein und vernetzt denken zu können.
"Doch wie soll jemand vernetztes Denken lernen, wenn wir in
Fächern unterrichten", kritisierte sie. Eine "Suche im
Bestehenden" sei das G8 bisher. Gute pädagogische Konzepte
ließen sich nicht im 45 Minuten Rhythmus umsetzen, sagte die
Bildungspolitikerin. "An einigen Schulen gibt es zwar gelungene
Modellprojekte – aber die Erkenntnisse dieser Projekte werden
nicht auf andere Gymnasien übertragen." Generell fehle es in
Bayern an einem "Schülerleitbild", so Tolle. Auf die
Frage, wie die Qualifikationen der Schüler aussehen sollen oder wie
die Zahl der Abiturienten erhöht werden könne, gebe es keine
Antwort im Kultusministerium. Nach ihrer Auffassung mangele es dazu
auch an einem Ideenwettstreit mit den Landtagsabgeordneten der CSU.
"Mir fehlt ein ernsthafter Gegenüber zum Diskutieren",
bedauerte die Grüne.
Von den Eltern und Lehrern wollte Tolle wissen,
welche Erfahrungen sie mit dem G8 gemacht hätten. Sorge bereitete
den Eltern unter anderem, dass die Schüler sich mit dem häufigeren
Nachmittagsunterricht auch öfter selbst verpflegen müssten.
"Die Eltern haben keine Kontrolle darüber, was die Kinder
mittags essen", sagte eine Mutter. Der Pausenverkauf an den
Schulen sei da nur wenig beruhigend, schließlich könnten die
Schüler sich mit dem Geld von zu Hause stattdessen auch anderes
Essen, etwa Fast-Food, in Schulnähe kaufen. Tolle regte in diesem
Zusammenhang an, dass die Schulen ein gemeinsames Mittagsessen auch
als Möglichkeit sozialen Lernens begreifen und umsetzen sollten.
Gute Erfahrungen hätten die Lehrer mit den
sogenannten Intensivierungsstunden gemacht. "In den Gruppen mit
15 Schülern sieht man erst einmal, was mit kleinen Klassen alles
möglich ist", schilderte eine Lehrerin. In den
"normalen" Unterrichtstunden dagegen seien die Klassen an
den Gymnasien überfüllt. Wolfgang Grader, der bildungspolitische
Sprecher der GAL-Stadtratsfraktion, sehe darin ein Problem, dass die
Abschlüsse der Haupt- und Realschulen abgewertet würden:
"Immer mehr Eltern wollen, dass ihre Kinder auf Biegen und
Brechen das Abitur machen. Die Gymnasien sind übervoll und den
Hauptschulen fehlen Schüler", sagte er. Grader und Tolle waren
sich darin einige, dass die Gliederung in verschiedene Schultypen so
in Frage zu stellen sei, zumal nicht aufeinander abgestimmte
Lehrpläne die Durchlässigkeit zwischen den Typen erschwerten.
Ein weiteres Problem sei, berichteten Lehrer, dass
Schüler der jetzigen siebten Klassen, die noch neun Jahre bis zum
Abitur brauchen, mit der Einführung des G8 benachteiligt seien.
"Ein Siebtklässler, der sitzen bleibt, hätte Schwierigkeiten,
die G8-Jahrgangsstufe darunter zu schaffen. Eigentlich müsste er
vom Lernstoff her gleich zwei Klassen zurück", bemängelte ein
Lehrer. Die Landtagsabgeordnete berichtete von einem Schreiben des
Kultusministeriums, wonach diese Schüler – quasi per
Verwaltungsanordnung – nicht sitzen bleiben dürften. "Sie
sind besonders zu fördern. Wie sie aber gefördert werden sollen
und woher das Geld dafür kommt, ist nicht ausreichend
geklärt", sagte Tolle. Zum Abschluss der Diskussion übergaben
Eltern der Landtagsabgeordneten eine Petition der Bamberger
Elternbeiräte gegen das G8 und warben für das Volksbegehren zur
Wiedereinführung des G9 vom 14. bis zum 27. Juni. Simone Tolle
sagte, sie erhoffe sich von einer guten Beteiligung beim
Volksbegehren Nachbesserungen beim G8 – auch wenn es nicht zum
Volksentscheid kommen sollte.
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