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Pressemitteilung vom 17. Mai 2005

Für Nachbesserungen kein Geld da – Grünen-Abgeordnete kritisiert G8

 

"Man könnte meinen, die CSU-Abgeordneten überlassen allein der Staatsregierung das Denken." Deutliche Worte über die Einführung des G8 fand die Grünen-Landtagsabgeordnete Simone Tolle bei einem öffentlichen Gesprächsabend der GAL Bamberg. Eltern und Lehrer diskutierten mit ihr über die Schulpolitik in Bayern und übergaben der Abgeordneten eine Petition der Bamberger Elternbeiräte gegen das G8.

Tolle nannte es für das Interesse der CSU an einem modernen Bildungssystem beispielhaft, als bei einer Expertenanhörung zum achtjährigen Gymnasium nur ein einziger Abgeordneter der Mehrheitsfraktion bis zum Ende geblieben ist. "Wer etwas über die Probleme von Schulzeitverkürzungen hätte wissen wollen, der hätte sich da informieren können", kritisierte die bildungspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen.

"Es reicht nicht, einfach ein paar Lehrer mehr anzustellen und die Stundenzahl zu erhöhen", sagte Simone Tolle über die Belastung von Schülern und Lehrern mit mehr Nachmittagsunterricht. Es fehle an sozialpädagogischer Betreuung und während den Mittagspausen blieben sich die Schüler häufig selbst überlassen. An vielen Schulen gebe es nicht genügend angemessene Räume für Unterricht, Aufenthalt und Mittagsverpflegung. Wenn Tolle im Bildungsausschuss des Landtages Anträge zur Verbesserung dieser Situation stellt, würden diese von der CSU-Mehrheit regelmäßig abgelehnt. "Ich bekomme dann immer zu hören, dafür sei kein Geld da", erzählte die Abgeordnete. Die einzige Perspektive in Bayern sei es, so Tolle weiter, bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, mit dem sich Ministerpräsident Stoiber "schmücken" wolle. "Aber das Geld für eine bessere Schulpolitik wäre vorhanden, würde man die Priorität darauf setzen", sagte sie. Als Negativbeispiel für millionenschwere Staatsausgaben ohne tatsächlichen Bedarf nannte Tolle die Forstreform und den Bau des Hofer Flughafens. Die Grünen im Landtag forderten dagegen den Bildungshaushalt um 30 Prozent zu erhöhen. "Das geht natürlich nicht von heute auf morgen", gab die Abgeordnete zu bedenken. Eine schrittweise Erhöhung der Bildungsausgaben um 3 Prozent jährlich aber halte sie für vertretbar.

Das G8 verfehle in dieser Form das eigentliche Ziel, nämlich global wettbewerbsfähiger zu werden durch jüngere Schulabgänger. In einer Wissensgesellschaft aber müssten die Schüler lernen teamfähig zu sein und vernetzt denken zu können. "Doch wie soll jemand vernetztes Denken lernen, wenn wir in Fächern unterrichten", kritisierte sie. Eine "Suche im Bestehenden" sei das G8 bisher. Gute pädagogische Konzepte ließen sich nicht im 45 Minuten Rhythmus umsetzen, sagte die Bildungspolitikerin. "An einigen Schulen gibt es zwar gelungene Modellprojekte – aber die Erkenntnisse dieser Projekte werden nicht auf andere Gymnasien übertragen." Generell fehle es in Bayern an einem "Schülerleitbild", so Tolle. Auf die Frage, wie die Qualifikationen der Schüler aussehen sollen oder wie die Zahl der Abiturienten erhöht werden könne, gebe es keine Antwort im Kultusministerium. Nach ihrer Auffassung mangele es dazu auch an einem Ideenwettstreit mit den Landtagsabgeordneten der CSU. "Mir fehlt ein ernsthafter Gegenüber zum Diskutieren", bedauerte die Grüne.

Von den Eltern und Lehrern wollte Tolle wissen, welche Erfahrungen sie mit dem G8 gemacht hätten. Sorge bereitete den Eltern unter anderem, dass die Schüler sich mit dem häufigeren Nachmittagsunterricht auch öfter selbst verpflegen müssten. "Die Eltern haben keine Kontrolle darüber, was die Kinder mittags essen", sagte eine Mutter. Der Pausenverkauf an den Schulen sei da nur wenig beruhigend, schließlich könnten die Schüler sich mit dem Geld von zu Hause stattdessen auch anderes Essen, etwa Fast-Food, in Schulnähe kaufen. Tolle regte in diesem Zusammenhang an, dass die Schulen ein gemeinsames Mittagsessen auch als Möglichkeit sozialen Lernens begreifen und umsetzen sollten.

Gute Erfahrungen hätten die Lehrer mit den sogenannten Intensivierungsstunden gemacht. "In den Gruppen mit 15 Schülern sieht man erst einmal, was mit kleinen Klassen alles möglich ist", schilderte eine Lehrerin. In den "normalen" Unterrichtstunden dagegen seien die Klassen an den Gymnasien überfüllt. Wolfgang Grader, der bildungspolitische Sprecher der GAL-Stadtratsfraktion, sehe darin ein Problem, dass die Abschlüsse der Haupt- und Realschulen abgewertet würden: "Immer mehr Eltern wollen, dass ihre Kinder auf Biegen und Brechen das Abitur machen. Die Gymnasien sind übervoll und den Hauptschulen fehlen Schüler", sagte er. Grader und Tolle waren sich darin einige, dass die Gliederung in verschiedene Schultypen so in Frage zu stellen sei, zumal nicht aufeinander abgestimmte Lehrpläne die Durchlässigkeit zwischen den Typen erschwerten.

Ein weiteres Problem sei, berichteten Lehrer, dass Schüler der jetzigen siebten Klassen, die noch neun Jahre bis zum Abitur brauchen, mit der Einführung des G8 benachteiligt seien. "Ein Siebtklässler, der sitzen bleibt, hätte Schwierigkeiten, die G8-Jahrgangsstufe darunter zu schaffen. Eigentlich müsste er vom Lernstoff her gleich zwei Klassen zurück", bemängelte ein Lehrer. Die Landtagsabgeordnete berichtete von einem Schreiben des Kultusministeriums, wonach diese Schüler – quasi per Verwaltungsanordnung – nicht sitzen bleiben dürften. "Sie sind besonders zu fördern. Wie sie aber gefördert werden sollen und woher das Geld dafür kommt, ist nicht ausreichend geklärt", sagte Tolle. Zum Abschluss der Diskussion übergaben Eltern der Landtagsabgeordneten eine Petition der Bamberger Elternbeiräte gegen das G8 und warben für das Volksbegehren zur Wiedereinführung des G9 vom 14. bis zum 27. Juni. Simone Tolle sagte, sie erhoffe sich von einer guten Beteiligung beim Volksbegehren Nachbesserungen beim G8 – auch wenn es nicht zum Volksentscheid kommen sollte.