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Pressemitteilung vom 26. September 2004

"Fordern und Fördern" ist Kraftakt für alle Beteiligten

Podiumsdiskussion von Bündnis 90/Die Grünen: Einbußen durch ALG II gerechtfertigt, wenn Förderaspekt von Hartz IV greift

 

Wer ein politisches Hickhack und harte Fronten erwartet hatte, der war bei der Podiumsdiskussion von Bündnis 90/Die Grünen zu "Hartz IV" in den Haas-Sälen an der falschen Stelle. Zwar gab es eine Handvoll Demonstranten, die per Bauchplakat Gehör für ihre Situation forderten und eine soziale Schieflage anprangerten, aber bei der Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum ging es vor allem um den praktischen Umgang mit den neuen Gegebenheiten. "Transparenz und Information" waren Ziel der gut besuchten Veranstaltung, wie die Moderatorin und oberfränkische grüne Bezirksrätin Elisabeth Scharfenberg formulierte. Das garantierte auch die Besetzung des Podiums: vor allem Vertreter und Vetreterinnen aus der Praxis.

Michael John vom Basis-Institut Bamberg ist Mitarbeiter des Modellprojekts "Chance 2000" im Landkreis Würzburg, das wegen seiner hohen Vermittlungsquoten von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt bundesweit Beachtung findet. Er stellte fest: "Massenarbeitslosigkeit gibt es bei uns bereits seit 20 Jahren, sie wurde durch unsere Gesellschaft regelrecht gezogen – z.B. dadurch dass man Migrantenfamilien nur mangelhaft intergriert oder dass man bildungsferne Schichten allein gelassen und Schulabgänger ohne Abschluss hingenommen hat. Und außerdem: Gut ging es den Arbeitslosen noch nie." Weshalb er es für wichtig hält, gerade dort anzusetzen, wo bei jedem einzelnen die Hindernisse liegen: "Dem einen fehlt eine berufliche Qualifikation, dem anderen der gewohnte Arbeitsalltag, eine allein erziehende Mutter kann vielleicht wegen mangelnder Kinderbetreuung nicht arbeiten." Es sei also eine persönliche Betreuung nötig, wie sie im Landkreis Würzburg mit dem dortigen differenzierten Beratungs- und Qualifizierungszentrum bereits erfolgreich installiert sei. "Das will auch die Hartz IV- Reform - bei den Arbeitsagenturen kann ich die Befähigung dazu aber jetzt noch nicht erkennen."

Indirekt bestätigte das der Leiter der Bamberger Arbeitsagentur Peter Haberecht. Dort laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, um das neue Arbeitlosengeld II ab dem 1. Januar 2005 pünktlich auszuzahlen, was Haberecht auch zusicherte. Mit der Stadt Bamberg wird es ab diesem Datum eine Arbeitgemeinschaft geben, wozu derzeit ebenfalls die Verhandlungen laufen, der Landkreis Bamberg wird erst im Juli einsteigen. Haberecht stellte jedoch noch einige Personallücken fest, um die von Hartz IV gewünschte bessere Betreuung organisieren zu können.

Dass es bei den Betroffenen Angst, Verunsicherung und Enttäuschung gibt, wußte Efthymia Tsakiri aus ihrer Erfahrung. Sie ist Fachreferentin des Diakonischen Werkes, das 19 Beratungszentren und 26 soziale Beschäftigungsinitiativen in ganz Bayern unterhält. Positiv an Hartz IV findet sie die bessere Betreuung durch Fallmanager und dass mehr Menschen Zugang zu Arbeitsmarktmaßnahmen haben. Sie befürchtet aber, dass der Niedriglohnsektor massiv zunimmt und "dass es immer mehr Menschen gibt, die voll arbeiten, deren Verdienst aber dennoch nicht für die Familie reicht."

Auch aus dem Publikum wurden Bedenken geäußert, die neue Regel, dass jede Arbeit zumutbar ist, werde zu Lohndumping führen. Dazu nahm der Bamberger Univesitätsprofessor Dr. Ulrich Birk Stellung. Er ist einer der Rechtskommentatoren für die Hartz-Reformen im Sozialgesetzbuch. "Laut Gesetz ist jede Arbeit zumutbar, sofern ihr nicht sonstige wichtige Gründe entgegen stehen. Dazu gehören aus rechtswissenschaftlicher Sicht auch ein nicht ortsüblicher Lohn, der in der Regel dem Tariflohn entsprechen wird." Daher ist aus Birks Sicht hier keine wesentliche Verschlechterung im Vergleich zur momentanen Situation für Sozialhilfeempfänger zu erkennen.

Ein Teil der jetzigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher haben Einbußen zu erwarten, weil das ALG II, das sie künftig erhalten, unabhängig vom Lohn der letzten Arbeitsstelle angesetzt wird. In Bamberg wird das laut Haberecht 30% der Bezieher betreffen. Für den Ärger der Betroffenen äußerte Prof. Birk zwar Verständnis. "Aus fachwissenschaftlicher Sicht muss ich aber sagen, dass der Wegfall der Lohnbezogenheit sinnvoll ist. Allerdings nur, wenn Hartz IV auch das Ziel schafft, die Dauer der Arbeitslosigkeit wesentlich zu verringern."

Dass die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag nicht durchweg zufrieden ist mit den Hartz IV-Maßnahmen, betonte die Bamberger Bundestagsabgeordnete Ursula Sowa. Sie kündigte einen Antrag mit Nachbesserungsvorschlägen für die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in ein paar Wochen an. Einig war sie sich mit Michael John darin, dass der Staat keinesfalls den öffentlich finanzierten Arbeitsmarkt schmälern dürfe, sondern auf diese Weise für soziale Integration sorgen müsse. John bemerkte dazu: "Nirgendwo scheut man sich so sehr wie in unserer Gesellschaft vor der Frage, was aus denen wird, die eben nicht leisten können, was der erste Arbeitsmarkt fordert."

Eines ergab die Diskussion eindeutig: Es wird sowohl eine Herausforderung als auch ein Kraftakt sein, den Förderaspekt von Hartz IV umzusetzen, also arbeitslose Menschen so zu betreuen und zu qualifizieren, dass sie den Sprung auf eine "ganz normale Arbeitsstelle" schaffen. Peter Haberecht meinte, dass Hartz IV noch keine neuen Arbeitsplätze schaffe, sondern dass für ein Gelingen der Arbeitsmarktreform die Konjunktur anspringen müsse. Dem setzte Michael John entgegen: "Wir dürfen nicht abwarten, wir müssen aktiv gestalten." Aus seiner Sicht ist die größte Gefahr für die Reform, dass es zu wenige praxisbezogene Konzepte des "Förderns" gibt. Er schlug einen "Hilfeplan" für eine Zusammenarbeit von öffentlicher Verwaltung und freien Trägern vor.


Von links: Prof. Dr. Ulrich Birk, Peter Haberecht, Efthymia Tsakiri, Elisabeth Scharfenberg, Ursula Sowa, Michael John.