"Fordern und Fördern" ist Kraftakt
für alle Beteiligten
Podiumsdiskussion von Bündnis 90/Die
Grünen: Einbußen durch ALG II gerechtfertigt, wenn Förderaspekt
von Hartz IV greift
Wer ein politisches Hickhack und harte Fronten
erwartet hatte, der war bei der Podiumsdiskussion von Bündnis
90/Die Grünen zu "Hartz IV" in den Haas-Sälen an der
falschen Stelle. Zwar gab es eine Handvoll Demonstranten, die per
Bauchplakat Gehör für ihre Situation forderten und eine soziale
Schieflage anprangerten, aber bei der Diskussion auf dem Podium und
mit dem Publikum ging es vor allem um den praktischen Umgang mit den
neuen Gegebenheiten. "Transparenz und Information" waren
Ziel der gut besuchten Veranstaltung, wie die Moderatorin und
oberfränkische grüne Bezirksrätin Elisabeth Scharfenberg
formulierte. Das garantierte auch die Besetzung des Podiums: vor
allem Vertreter und Vetreterinnen aus der Praxis.
Michael John vom Basis-Institut Bamberg ist
Mitarbeiter des Modellprojekts "Chance 2000" im Landkreis
Würzburg, das wegen seiner hohen Vermittlungsquoten von
Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt bundesweit Beachtung
findet. Er stellte fest: "Massenarbeitslosigkeit gibt es bei
uns bereits seit 20 Jahren, sie wurde durch unsere Gesellschaft
regelrecht gezogen – z.B. dadurch dass man Migrantenfamilien nur
mangelhaft intergriert oder dass man bildungsferne Schichten allein
gelassen und Schulabgänger ohne Abschluss hingenommen hat. Und
außerdem: Gut ging es den Arbeitslosen noch nie." Weshalb er
es für wichtig hält, gerade dort anzusetzen, wo bei jedem
einzelnen die Hindernisse liegen: "Dem einen fehlt eine
berufliche Qualifikation, dem anderen der gewohnte Arbeitsalltag,
eine allein erziehende Mutter kann vielleicht wegen mangelnder
Kinderbetreuung nicht arbeiten." Es sei also eine persönliche
Betreuung nötig, wie sie im Landkreis Würzburg mit dem dortigen
differenzierten Beratungs- und Qualifizierungszentrum bereits
erfolgreich installiert sei. "Das will auch die Hartz IV-
Reform - bei den Arbeitsagenturen kann ich die Befähigung dazu aber
jetzt noch nicht erkennen."
Indirekt bestätigte das der Leiter der Bamberger
Arbeitsagentur Peter Haberecht. Dort laufen die Vorbereitungen auf
Hochtouren, um das neue Arbeitlosengeld II ab dem 1. Januar 2005
pünktlich auszuzahlen, was Haberecht auch zusicherte. Mit der Stadt
Bamberg wird es ab diesem Datum eine Arbeitgemeinschaft geben, wozu
derzeit ebenfalls die Verhandlungen laufen, der Landkreis Bamberg
wird erst im Juli einsteigen. Haberecht stellte jedoch noch einige
Personallücken fest, um die von Hartz IV gewünschte bessere
Betreuung organisieren zu können.
Dass es bei den Betroffenen Angst, Verunsicherung
und Enttäuschung gibt, wußte Efthymia Tsakiri aus ihrer Erfahrung.
Sie ist Fachreferentin des Diakonischen Werkes, das 19
Beratungszentren und 26 soziale Beschäftigungsinitiativen in ganz
Bayern unterhält. Positiv an Hartz IV findet sie die bessere
Betreuung durch Fallmanager und dass mehr Menschen Zugang zu
Arbeitsmarktmaßnahmen haben. Sie befürchtet aber, dass der
Niedriglohnsektor massiv zunimmt und "dass es immer mehr
Menschen gibt, die voll arbeiten, deren Verdienst aber dennoch nicht
für die Familie reicht."
Auch aus dem Publikum wurden Bedenken geäußert,
die neue Regel, dass jede Arbeit zumutbar ist, werde zu Lohndumping
führen. Dazu nahm der Bamberger Univesitätsprofessor Dr. Ulrich
Birk Stellung. Er ist einer der Rechtskommentatoren für die
Hartz-Reformen im Sozialgesetzbuch. "Laut Gesetz ist jede
Arbeit zumutbar, sofern ihr nicht sonstige wichtige Gründe entgegen
stehen. Dazu gehören aus rechtswissenschaftlicher Sicht auch ein
nicht ortsüblicher Lohn, der in der Regel dem Tariflohn entsprechen
wird." Daher ist aus Birks Sicht hier keine wesentliche
Verschlechterung im Vergleich zur momentanen Situation für
Sozialhilfeempfänger zu erkennen.
Ein Teil der jetzigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher
haben Einbußen zu erwarten, weil das ALG II, das sie künftig
erhalten, unabhängig vom Lohn der letzten Arbeitsstelle angesetzt
wird. In Bamberg wird das laut Haberecht 30% der Bezieher betreffen.
Für den Ärger der Betroffenen äußerte Prof. Birk zwar
Verständnis. "Aus fachwissenschaftlicher Sicht muss ich aber
sagen, dass der Wegfall der Lohnbezogenheit sinnvoll ist. Allerdings
nur, wenn Hartz IV auch das Ziel schafft, die Dauer der
Arbeitslosigkeit wesentlich zu verringern."
Dass die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im
Bundestag nicht durchweg zufrieden ist mit den Hartz IV-Maßnahmen,
betonte die Bamberger Bundestagsabgeordnete Ursula Sowa. Sie
kündigte einen Antrag mit Nachbesserungsvorschlägen für die
Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in ein paar Wochen an. Einig
war sie sich mit Michael John darin, dass der Staat keinesfalls den
öffentlich finanzierten Arbeitsmarkt schmälern dürfe, sondern auf
diese Weise für soziale Integration sorgen müsse. John bemerkte
dazu: "Nirgendwo scheut man sich so sehr wie in unserer
Gesellschaft vor der Frage, was aus denen wird, die eben nicht
leisten können, was der erste Arbeitsmarkt fordert."
Eines ergab die Diskussion eindeutig: Es wird sowohl
eine Herausforderung als auch ein Kraftakt sein, den Förderaspekt
von Hartz IV umzusetzen, also arbeitslose Menschen so zu betreuen
und zu qualifizieren, dass sie den Sprung auf eine "ganz
normale Arbeitsstelle" schaffen. Peter Haberecht meinte, dass
Hartz IV noch keine neuen Arbeitsplätze schaffe, sondern dass für
ein Gelingen der Arbeitsmarktreform die Konjunktur anspringen
müsse. Dem setzte Michael John entgegen: "Wir dürfen nicht
abwarten, wir müssen aktiv gestalten." Aus seiner Sicht ist
die größte Gefahr für die Reform, dass es zu wenige
praxisbezogene Konzepte des "Förderns" gibt. Er schlug
einen "Hilfeplan" für eine Zusammenarbeit von
öffentlicher Verwaltung und freien Trägern vor.
Von links: Prof. Dr. Ulrich Birk, Peter Haberecht, Efthymia Tsakiri,
Elisabeth Scharfenberg, Ursula Sowa, Michael John.
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