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Pressemitteilung vom 8. April 2004

Rechtsfreier Raum in der U-Haft?

GAL diskutierte über Bedingungen in der Untersuchungshaft – Gesetz von Ländern blockiert

 

Bei ihrem Diskussionsabend unter dem Titel "U-Haft – Rechtsfreier Raum" näherten sich die Bamberger Grünen (GAL) einem Thema, das an den Rande der bundesdeutschen Gesellschaft gedrängt ist. Dass Untersuchungshaft jeden Bürger und jede Bürgerin einmal treffen kann – sei es direkt oder als Angehörige -, dennoch aber kaum jemand etwas darüber weiß, war eine der bestürzenden Erkenntnisse des Abends.

Als Expertenrunde hatte die GAL den Richter Ralf Dischinger, den ehemaligen Gefängnisseelsorger Johannes Wagner-Friedrich sowie die Bamberger grüne Bundestagsabgeordnete Ursula Sowa, die als eines ihrer Politikfelder den Strafvollzug bearbeitet, eingeladen.

Johannes Wagner-Friedrich schilderte drastisch die Isolation von U-Häftlingen. "Es ist eine abrupte komplette Abgeschiedenheit, es gibt zunächst keinen Kontakt nach draußen, auch nicht zur engsten Familie." Zwar habe der U-Inhaftierte einen Mindestanspruch auf Besuche von Angehörigen von zweimal 30 Minuten im Monat. "Aber normalerweise geht diese geringe Besuchszeit meist schon dafür drauf, die durch die U-Haft entstandenen dringlichen Probleme des alltäglichen Lebens zu besprechen und zu regeln." Briefkontakt sei zwar erlaubt, aber zwischen Abschicken eines Briefs und Erhalten der Antwort lägen in der Regel drei Wochen.

Aus seiner Erfahrung weiß Wagner-Friedrich: "Die Menschen sind oft durch die Gefangennahme traumatisiert, sie leiden unter der Langeweile, weil sie nicht arbeiten dürfen, bekommen oft Depressionen." Als Seelsorger betonte er, dass die derzeitigen Haftbedingungen angesichts des Rechtsgrundsatzes, dass U-Häftlinge keine Strafgefangenen sind und für sie die Unschuldsvermutung gelte, unzumutbar seien. Man dürfe nicht vergessen, dass die U-Haft noch das Vorstadium der Gerichtsverhandlung sei, eine Strafe also noch gar keine rechtliche Grundlage habe.

Dass immerhin 15% der U-Häftlinge dies erdulden müssen, obwohl sie bei ihrem Gerichtsverfahren dann gar nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, erläuterte Richter Ralf Dischinger. Er kritisierte "politische Panikmache", z.B. die Strafverschärfung bei Sexualstraftaten oder die Diskussion um DNA-Feststellung bei allen Straffälligen. Besonders nachteilig ist aus seiner Sicht, dass es seit 1977 zwar ein Strafvollzugsrecht gebe, aber kein Gesetz, das die U-Haft-Bedingungen regele: "Die Bedingungen sind für verurteilte Straftäter besser als für Untersuchungsinhaftierte, die auf ihre Verhandlung warten. Aber die politische Großwetterlage tendiert derzeit wohl eher zu noch mehr Verschärfung als zu Verbesserung."

Die Bamberger Bundestagsabgeordnete Ursula Sowa bestätigte dies und merkte an, dass ein Gesetzesentwurf der rot-grünen Regierungskoalition seit 1999 auf dem Tisch liege. Darin soll der Vollzug der U-Haft, die Rechte der Häftlinge, aber auch ihr zeitweiliger Rechtsverlust genau und bundeseinheitlich geregelt werden. "Leider aber ist der Vollzug Ländersache, und die Länder blockieren, auch weil die Reform zusätzliches Geld und Personal erfordert."

Hier stimmte auch der Leiter der Bamberger Justizvollzugsanstalt Hans Lange zu, in der momentan 230 Inhaftierte, darunter 100 U-Häftlinge, einsitzen: Die Gesetzesvorlage sei gut, umsetzbar und dringend nötig, um den jetzigen aus rechtsstaatlicher Sicht kaum haltbaren Zustand zu verbessern.

Ursula Sowa berichtete, dass die U-Haft-Reform zwar noch immer auf der Agenda der bündnisgrünen Bundestagsfraktion stehe, von der rot-grünen Koalition derzeit aber nicht weiterverfolgt werde. Dass für Reformen in diesem politischen Randbereich der gesellschaftliche Druck fehle, sah auch Pfarrer Wagner-Friedrich so. Da die meisten erwarten, dass die U-Haft nicht lange andauert, entwickle sich hier keine Lobby der Betroffenen und ihrer Angehörigen: "Verständlicherweise will jeder nur, dass es für ihn und seine Familie so schnell wie möglich vorbei geht." Ursula Sowa nannte dennoch die Problemlage so gravierend, "dass meine Fraktion jetzt unbedingt etwas tun müssen." Mit den Engagierten aus der Region will sie deshalb in engem Kontakt bleiben.