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Pressemitteilung vom 26. Januar 2004

Kann das G8 noch gekippt werden?

Bei Grünen-Infoabend machten viele ihrem Ärger Luft – MdL Tolle fordert Moratorium

 

Das Thema "achtjähriges Gymnasium" löst bei den Betroffenen noch immer eine Woge der Empörung aus. Das bekam man auch beim Informationsabend von GAL und Grünen Bamberg-Land im Neuen Palais zu spüren, wo zahlreiche Lehrkräfte, Eltern sowie Schüler und Schülerinnen mit der Grünen-Abgeordneten Simone Tolle und dem oberfränkischen GEW-Vorsitzenden Ernst Wilhelm diskutierten.

"Was können wir dagegen tun, dass die bayerische Regierung nach der Wahl ihr Versprechen beiseite schiebt und die Schulzeit am Gymnasium nun völlig überstürzt auf acht Jahre verkürzt?" fragte GAL-Stadtrat Wolfgang Grader als Diskussionsleiter. Dabei kam bei der Diskussion immer wieder die Möglichkeit eines Volksbegehrens zur Sprache. Zwar war allen Wortmeldungen zu entnehmen, dass es keine grundsätzliche Ablehnung des achtjährigen Gymnasiums gibt. Die Anwesenden forderten aber einhellig durchdachte Lösungen und angemessene Rahmenbedingungen. Vor allem waren Eltern der jetzigen vierten und fünften Klassen verunsichert, weil sie keine Ahnung haben, was auf sie zukommt. Zu Wort meldeten sich auch Eltern, die um die Zukunft ihrer Kinder fürchten, wenn in neun Jahren zwei Jahrgänge auf einmal in den Berufsmarkt und an die Hochschulen drängen. Eine Mutter vermisste eine klare Auskunft darüber, wie denn die Kinder über Mittag verpflegt werden sollen: "Ich würde nicht wollen, dass meine Kinder mittags regelmäßig an der Imbissbude stehen."

Deshalb hofften die Anwesenden, von der bildungspolitischen Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion genaue und konkrete Pläne zu erfahren. Doch Simone Tolle musste weitgehend passen: "Die Staatsregierung arbeitet offenbar nach dem Motto: Nichts genaues weiß man nicht!" Der Bildungsausschuss des Landtags sei überhaupt erst am 22. Januar 2004 über die Pläne der Regierung informiert worden, nachdem laut Tolle noch in der Woche vorher eine Sitzung offiziell mangels besprechungsreifer Tagesordnungspunkte abgesagt wurde. Die Informationen, die sie und ihre KollegInnen dann im Ausschuss erhielten, seien mehr als "dürftig, vage und schwammig" gewesen: Bis zum Frühsommer wolle das Kultusministerium den Lehrplan für das G8 erarbeiten – allerdings nur bis zur siebten Klasse. Die Kommunen sollen angeblich nur mit 10% der Kosten belastet werden, wobei genaue Kosten nicht beziffert wurden. Und auf Nachfragen wegen der Mittagsverpflegung für die Schüler und Schülerinnen habe der Vertreter des Ministeriums lapidar erwidert, dass sich dafür vor Ort schon Lösungen finden werden. Tolles Urteil: "Die Regierung hat keine Antworten. Stoiber treibt weiterhin eine bildungspolitische Sau nach der anderen durch Bayern – ohne Konzept und ohne Plan."

Auch die verschiedenen G8-Schulversuche in Bayern haben nach Tolles Informationen bisher keine verwertbaren Ergebnisse geliefert. "Natürlich hört man Einiges – positiv und negativ -, man muss aber bedenken, dass alle diese Modelle unter besonderen Bedingungen ablaufen." Außerdem hätten sich die Eltern bisher bewusst für diese Schulform entscheiden können, wenn sie ihren Kindern den erhöhten Leistungsdruck im G8 zutrauten, ergänzte Ernst Wilhelm von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Den anwesenden Eltern und dem Elternbeiratsvorsitzenden des Bamberger Clavius-Gymnasiums, wo es bekanntlich derzeit eine G8-Klasse gibt, war ebensowenig etwas von einer strukturellen Auswertung des Schulversuchs bekannt.

Ernst Wilhelm zitierte aus Stoibers Regierungserklärung, wo lediglich ein längeres Einzahlen in die Rentenversicherung und der angebliche Vorsprung jüngerer Absolventen bei der Berufswahl als Gründe für das G8 und eine geplante frühere Einschulung der Kinder genannt werden. Als Gewerkschafter wandte er sich strikt gegen jede Arbeitsverdichtung, die bei der generellen Einführung des G8 zu erwarten sei. "Schon jetzt sind viele Schüler wie auch Lehrer durch den schulischen Leistungsdruck und hohe Erwartungshaltungen überfordert", so Wilhelm. Eine Verkürzung der Schulzeit kann sich der Gewerkschafter nur dann vorstellen, wenn Schulen nach skandinavischem Vorbild völlig neu gestaltet und der Lehrstoff von Grund auf reformiert werde.

Was ein Volksbegehren angeht, äußerte er sich durchaus zuversichtlich. Schon jetzt hätten in ungewohnter Zusammenarbeit alle Verbände eine gemeinsame Erklärung gegen die aktuellen Pläne Stoibers abgegeben. Vorstellbar ist ein Volksbegehren auch für Simone Tolle. Konkrete Hoffnung legt sie allerdings eher auf ein Moratorium, also dass das G8 zumindest nicht ab kommenden Schuljahr für alle verpflichtend eingeführt wird. Aus ihrer Sicht ist ein G8 nur in der Ganztagsform machbar, "und zwar parallel zum G9, damit die Eltern und Kinder freie Wahl haben." Zuvor hält sie eine gesellschaftliche Debatte über den Lehrplan für unbedingt notwendig, die außerdem auch die Grundschule und den Kindergarten mit einbeziehen sollte.